Silvia Neff ist Stromableserin und arbeitet seit rund 30 Jahren im Kundendienst der St.Galler Stadtwerke. Als Ableserin in Privat- und Gewerbehaushalten geht die 62-Jährige in St.Galler Häuser ein und aus. Aufgrund der Digitalisierung wird sich ihr Beruf in Zukunft verändern.
In jedem Haus sei sie zwar noch nicht gewesen – aber sie kenne bestimmt 90 Prozent aller Gebäude in St.Gallen von innen, sagt Silvia Neff. Seit fast 30 Jahren – 2024 steht das runde Jubiläum an – arbeitet Neff als Stromableserin bei den St.Galler Stadtwerken.
Zähler ist nicht gleich Zähler: Vom Haushaltszähler über den Maxi-Zähler für Geschäfte bis zum immer beliebteren Photovoltaikzähler oder dem Bauzähler auf Baustellen liest Silvia Neff den Energieverbrauch in Kilowattstunden ab. Zum Bauzähler zu gelangen sei etwas abenteuerlich, da muss Neff mit Helm zum Zähler unter dem Kran klettern. Bei einem Neu- oder Umbau überprüft die Stromableserin ausserdem, ob die Elektriker den Anschluss dem richtigen Gewerbe zugewiesen haben. Jeweils Ende Monat, wenn die Zügeltermine anstehen, wird besonders fleissig abgelesen, da seien alle acht Teamkollegen und mitunter sogar der Vorgesetzte im Einsatz: Bei bis zu 500 Zählern am Tag misst Silvia Neff mit ihrem Team den Stromverbrauch im Hoch- und Niedertarif. Mai und Juni seien jeweils die intensivsten Monate, im Sommer werde es dann etwas ruhiger.

Stadtbekannte Ansprechperson für Stromfragen
«Viele Leute kennen mich, da ich seit Jahrzehnten Strom ablese», sagt Silvia Neff. Ihr gefällt der Austausch mit der Kundschaft. Wenn sie Strom ablese, würden die Bewohnerinnen und Bewohner auch mal mit anderen Anliegen auf sie zukommen: «Sie teilen mir ihre Zügeltermine mit oder haben Fragen zu ihren Rechnungen. Ich leite sie dann ans Rechnungs- oder Mutationsbüro weiter – wir messen ausschliesslich Daten», so die erfahrene Ableserin. An ihrem Beruf schätzt die 62-jährige St.Gallerin auch die Abwechslung und die Selbständigkeit: «Jeder Tag sieht anders aus.» Als Stromableserin sei sie zwar in ein Team eingebunden, kann aber trotzdem selbständig arbeiten. Und wo macht sie Pause? Unter den Stromablesern und Stromableserinnen gäbe es keine ausgedehnten Pausen, lieber würden sie ihre Schicht früher beenden: «‹Fürschi› machen und die Pause möglichst kurz halten, ist eine Ableserkrankheit», meint Neff.
Viele Leute kennen mich, da ich seit Jahrzehnten Strom ablese.
Schlüssel und Termine jonglieren
In Neffs Hand schwingt ein grosser Schlüsselbund, damit sie Zutritt zu den Zählerstationen in den Gebäuden hat. Station Spisermarkt: In der Elektrohauptverteilung stehen rund 50 Zähler von Geschäften und Wohnungen. Neben dem Strom erfasst das Team auch den Wasser- und Gasverbrauch und die Fernwärme. Immer dabei hat Silvia Neff ihr Mobiltelefon: Die meisten Stromzähler sind mit Bluetooth ausgestattet, so müssen die Ableserinnen den Strom nicht mehr manuell ablesen. Unentbehrlich sind auch die Listen, auf denen jedes Haus mit Zählerstationen und Bemerkungen zu Besonderheiten vermerkt ist. «Die Listen sind besonders wichtig, wenn innerhalb des Teams jemand ausfällt und eine Kollegin die Route übernehmen muss», so Silvia Neff. Damit werden Besonderheiten eines Gebäudes nicht übersehen. Alle paar Jahre erhalten die Ableser, die jeweils für ein Gebiet zuständig sind, eine andere Tour. Als Stellvertreterin des Teamleiters Jan Kesselring koordiniert Silvia Neff die Termine für ihre Teamkollegen und Teamkolleginnen. Neff ist ein Morgenmensch: Morgens um 8 Uhr hat sie die Terminpläne bereits erstellt – ihre Arbeitstage beginnen um 6.30 Uhr.
Digitalisierung verändert Berufsbild
Die St.Galler Stadtwerke werden in den nächsten Jahren einen Grossteil der Zählerkasten in der Stadt umrüsten. Das Unternehmen installiert flächendeckend intelligente Zähler, sogenannte «Smart-Meter-Geräte». Diese senden die Zählerstände digital an die Stadtwerke und es wird künftig nicht mehr nötig sein, dass Mitarbeitende die Zähler in jeder Liegenschaft vor Ort ablesen. Wie geht Silvia Neff damit um, dass es ihren Beruf als Ableserin so in Zukunft nicht mehr geben wird? «Klar, ein bisschen wehmütig bin ich schon. Aber in all den Jahren gab es immer wieder Veränderungen, denen ich jeweils mit einem lachenden und einem weinenden Auge begegnet bin», sagt sie und hält das Bluetooth-Gerät routiniert an den nächsten Zähler. «Man muss flexibel bleiben», meint die langjährige Mitarbeiterin pragmatisch.
Bis 20'000 Schritte am Tag
Über dem Schreibtisch in Silvia Neffs Büro hängt ein grosser Stadtplan von St.Gallen. Darauf sind zahlreiche Felder eingezeichnet, die jeweils für eine Tour stehen – eine Tour umfasst 200 bis 700 Zähler. Das gesamte Gebiet der Touren für die Stromableser in St.Gallen erstreckt sich bis zur Notkersegg. Bei rund 100'000 Ablesungen pro Jahr müssen die Mitarbeitenden körperlich fit sein: «Ich laufe an intensiven Tagen schon mal 18'000 bis 20'000 Schritte», so Neff. In Häusern ohne Lift komme das Treppensteigen dazu. In alten Gebäuden befinden sich zudem die Gas- und Wasseruhren im Keller, da muss Silvia Neff in einigen Häusern erst schwere Fahrräder von der Falltür wegräumen, um den Zugang zum Keller freizumachen.
Sie wohnt selbst in einem alten Haus: Am Stadtrand beim Sittertobel lebt Silvia Neff mit ihrer Familie und den beiden Hunden in einem über hundertjährigen Haus mit einem grossen Garten – sie ist leidenschaftliche Gärtnerin: «Während andere in die Ferien reisen, geniessen wir unser Zuhause in der Natur.»
