Für die Stadt St.Gallen stellt die Sektorenkopplung eine technische Herkulesaufgabe dar. Damit sie gelingt, braucht es ein neues Mindset und das Zusammenspiel aller Akteure und Technologien auf einer einzigen Versorgungsplattform.
Strom, Wärme, Mobilität: Das Energiekonzept 2050 der Stadt St.Gallen setzt auf die sogenannte «Netztrilogie». Durch die Kopplung dieser Sektoren entsteht ein virtuelles Kraftwerk für die Stadt St.Gallen. An diesem arbeiten die St.Galler Stadtwerke seit mehreren Jahren. Damit das Vorhaben gelingt, die Energieversorgung auch für die Generationen nach uns sicherzustellen, gilt es vor allem, unsere Scheuklappen abzustreifen. Die Technologien sind nämlich da. Wir müssen sie nur sinnvoll zusammenfügen zu einem flexiblen, intelligenten und robusten Energiesystem.
Sektorenkopplung: geschmeidige Zusammenarbeit
Der Begriff «Sektorenkopplung» – oft auch als «Netzkonvergenz» bezeichnet – bedeutet, die wichtigsten Sektoren der Energienutzung intelligent miteinander zu verbinden. So entsteht ein integriertes Energiesystem über verschiedene Infrastrukturen hinweg.
Dafür braucht es Energiespeicher und Energiewandler: Aus Strom entsteht speicherbares Gas, das bei Bedarf wieder zu Strom wird. Oder Wärme zu Strom und umgekehrt. Bestehende Leitungsnetze wachsen so zusammen. Die Technologien dazu sind bereits vorhanden, insbesondere Wärme-Kraft-Kopplung, Power-to-X und Vehicle-to-X.
Die Sektorenkopplung, auch Netzkonvergenz genannt, beschreibt die Vernetzung der verschiedenen energiewirtschaftlichen Komponenten inklusive des Verkehrs. Es geht also um die Zusammenführung von Strom, Wärme und Mobilität. Mit der Wärme-Kraft-Kopplung (WKK) kann beispielsweise Strom und Wärme produziert werden, der Strom wiederum kann für die E-Mobilität genutzt werden. Der Strom aus Solar- oder WKK-Anlagen kann ausserdem im zunehmenden Batteriespeicher-Schwarm von E-Fahrzeugen temporär gespeichert und bei Bedarf wieder abgezogen werden. Die Sektorenkopplung erlaubt uns, Strom lokal zu produzieren, lokal einzulagern und lokal wiederzuverwenden. Zudem werden all diese Prozesse digital vernetzt und gesteuert. Die lokale Stromproduktion kann dadurch maximal ausgenutzt werden und Kundinnen und Kunden werden optimal mit Energie versorgt.
Ein solches smartes Energiesystem entsteht nun in St.Gallen. Mehr als 150 technisch machbare und wirtschaftlich realisierbare Massnahmen sind dafür ausgearbeitet worden. Im Verbrauchssektor Wärme zum Beispiel steht die energetische Optimierung des St.Galler Gebäudeparks im Vordergrund, dazu der sukzessive Ausbau der Fernwärme. Wo dieser topografisch nicht realisierbar ist, auf den Hügelzügen und im Westen der Stadt, kommen Wärmepumpen und WKK-Anlagen zum Zug, wofür auch Nahwärme-Netze erstellt werden. Öl-, Gas- und Elektrospeicherheizungen soll es bis ins Jahr 2050 nicht mehr geben.
Schrittweiser Aufbau
Der Ausbau in Richtung Sektorenkopplung erfordert Investitionen in Netze und er benötigt Zeit, denn er stellt die St.Galler Stadtwerke vor zunehmend komplexe Aufgabenstellungen. So wird beispielsweise bis zum Jahr 2035 die Spannung im Mittelspannungsnetz sukzessive von 10'000 auf 20'000 Volt erhöht, was mit grossen Herausforderungen verbunden ist.
Die Entwicklung in allen Bereichen zielt auf die Realisierung eines «virtuellen Kraftwerks» ab. Alle Produktions- und Verbrauchsanlagen in St.Gallen werden dabei als energetisches Gesamtsystem betrachtet, Energieflüsse gezielt gesteuert. Dazu benötigen wir eine IT-Infrastruktur, das Glasfasernetz als Übertragungsmedium und Daten.
Unser Ziel ist ein holistisches Energiesystem, das robuster als das heutige ist, mit unterschiedlichen Energien aus verschiedenen lokalen Produktionsstätten umgehen kann, technologieoffen konzipiert ist und Platz lässt für Innovationen. Damit erreichen wir einen nachhaltigen Effekt für Mensch und Umwelt.
Dafür braucht es ein neues Mindset und eine energiepolitische Vision, die das Gesamtsystem im Blick behält: Wir wollen bis zum Jahr 2050 CO2-neutral werden. Das gelingt uns nur gemeinsam, indem wir den systemischen Ansatz des Energiekonzepts 2050 der Stadt St.Gallen systematisch umsetzen.