Alle sprechen von der Energiewende und Solarstrom. Die Stadt St.Gallen lässt ihren Worten ambitionierte Taten folgen. So werden regelmässig neue Photovoltaik-Anlagen der St.Galler Stadtwerke gebaut – und Privatpersonen greift die Stadt finanziell wie organisatorisch unter die Arme.
Zukunftsperspektiven sind eine Frage des Standpunkts. Manchmal buchstäblich. «Das liebe ich an meinem Job: St.Gallen von oben», sagt Patrick Stark. Er lässt den Blick vom Dach des Feuerwehrdepots schweifen: Hinter der Olma erhebt sich Rotmonten, hinter dem Kantonsspital der Freudenberg. Alles schön grün von hier oben. Sogar doppelt grün: Allein von hier hat Stark, Projektleiter Energiedienstleistungen der St.Galler Stadtwerke, vier Anlagen für Photovoltaik (PV) im Blick. «Zwei der Anlagen sind unsere», meint er verschmitzt. Eine weitere und nagelneue liegt ihm zu Füssen. Oder vielmehr zu Knien: Dachbegrünung ist ein Teil der Stadtklima-Strategie, also sind die PV-Module aufgeständert. Darunter wird noch mehr Grün spriessen. «Im Frühling 2024 gehen wir hier in Betrieb», erläutert Stark und verschränkt zufrieden die Arme: Gestatten, PV-Anlage Nummer 47 der St.Galler Stadtwerke. Eine weitere Anlage ist im Bau, vier sind in Planung: Die Kloster- wird auch zur Solarstadt.

St.Gallen liegt bei Solar an der Spitze
Ein paar Zahlen verdeutlichen das Potenzial der Sonnenenergie: Die auf die Erde treffende Energie übersteigt den Energiebedarf der Menschheit mehr als 10’000-fach. Theoretisch könnte eine 800 Kilometer mal 800 Kilometer grosse PV-Anlage in der Sahara den Weltenergiebedarf ganz allein decken. Und das Bundesamt für Energie (BFE) sagt: Im Jahr 2050 könnte in der Schweiz bereits ein Fünftel des Stroms aus PV-Anlagen stammen.
«St.Gallen liegt bei der Produktion von Solarstrom an der Spitze», schrieb das «St.Galler Tagblatt». Dennoch ist das Sonnenkraft-Potenzial noch gewaltig (siehe Box) und der Ideenreichtum der Ingenieure ebenfalls: Der Feuerwehr-Schlauchturm etwa trägt auf drei Seiten vertikale PV-Elemente. «80 Kilowatt vom Dach, 20 vom Schlauchturm», resümiert Stark. Wozu? «Liegt Schnee, produziert die Dachanlage keine Energie. Auf vertikalen Modulen liegt aber nie Schnee.» Stark lächelt: An ihm, der bei den PV-Projekten alle operativen Fäden in der Hand hält, soll der Zubau an erneuerbaren Energien nicht scheitern. Engagement heisst das Zauberwort.
Ein paar Zahlen: Bei der sogenannten Leistung in kWp kommen die heutigen Solaranlagen in der Stadt auf rund 25 Megawatt peak (MWp). Bis 2050 lautet das Ziel 150 MWp: 50 von den Stadtwerken, 100 von Privaten. Denn Energiewende und Klimaschutz steigern den Elektrizitätsbedarf; u.a. Wärmepumpen und E-Autos erhöhen die maximale Bezugsspitze vom Stromnetz (heute bis zu 95 Megawatt, 2050 geschätzt 190 Megawatt). Soll die Kraft der Sonne eines Tages bis zu einem Viertel zum St.Galler Stromhaushalt beitragen, müssen jedes Jahr 4,5 Megawatt hinzukommen. «Wir müssen natürlich Gas geben», räumt Stark ein, doch betont: «Es ist machbar! Bereits 1998 ging die erste PV-Anlage der St.Galler Stadtwerke ans Netz. Wir haben das Knowhow, auch als Partner für Private. Wichtig ist, dass alle zusammen auf das Ziel hinarbeiten.»
«Die Kundschaft trägt dabei keinerlei Risiko»
Im Jahr 2020 hatte die Stimmbevölkerung in der Gemeindeordnung das Ziel verankert, 2050 in einer klimaneutralen Stadt zu leben, und bereits zuvor entschieden, aus der Versorgung mit Kernstrom auszusteigen. Das Energiekonzept 2050 der Stadt St.Gallen sieht das Kernstrom-Aus bereits bis zum Jahr 2030 vor und zeigt auf, wie Klimaneutralität bis 2050 effizient und wirtschaftlich zugleich geht. Photovoltaik ist darin zwar «nur» ein Baustein, aber ein überaus wichtiger. «Natürlich geht es auch um das Netto-Null-Ziel 2050 des Bundes und um die Dekarbonisierung», erläutert Peter Graf, Bereichsleiter Energie, Verkauf und Marketing der St.Galler Stadtwerke. «Vor allem aber geht es auch um Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit. Ist die Wind- oder die PV-Anlage einmal installiert, wird günstiger als auf jede andere Art Strom produziert; das wirkt sich dämpfend auf die Strompreisentwicklung aus. Für Windkraft ist unsere Stadt nicht gut geeignet. Aber für Photovoltaik!»
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Wie innovativ der Ausstieg aus der Abhängigkeit von fossilen Energien und der Einstieg in die lokalen erneuerbaren Energien mit allen positiven Effekten auf die Umwelt aussehen kann, zeigen Projekte wie der Kybunpark: Das Heimstadion des FC St.Gallen 1879 produziert Fussballgeschichte – und Solarstrom für fast 150 Haushalte. Oder die Überbauung Sturzenegg: Sie trägt nicht nur PV-Elemente, sondern wurde vom Blockheizkraftwerk über Wärmetauscher in den Abläufen der Duschen bis hin zu E-Auto-Ladestationen als integriertes dezentrales Energiesystem gestaltet.
Aber von nichts kommt nichts. «Das Interesse an PV ist gross, aber wir schaffen ja auch attraktive finanzielle Anreize», erklärt Simon Schoch. Klingelt Schochs Telefon, wollen Institutionen, Firmen oder Private ein Teil der sonnigen Zukunft werden. Schoch ist Leiter Technischer Verkauf/Beratung und hat für die meisten Anforderungen die passende Lösung. «Kundinnen und Kunden können die Anlage selbst realisieren, und wir übernehmen die komplexe Verrechnung. Oder wir übernehmen Bau und Betrieb auf der gestellten Dachfläche und vergüten die Nutzung. Die Kundschaft trägt kein Risiko, aber profitiert nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch.»

Freie Dächer haben wir noch mehr als genug.
Förderbeiträge annähernd verdoppelt
In Zeiten, in denen die tiefen Preise der PV-Module die Photovoltaik ohnehin attraktiv machen, greift St.Gallen an PV-Anlagen Interessierten unter die Arme wie kaum eine andere Stadt: Der Bund leistet einen Einmal-Förderbeitrag für Anlagen mit einer Grösse von bis zu 100 kWp. Aus dem Energiefonds der Stadt St.Gallen wird der Einmal-Förderbeitrag verdoppelt. Wird zusätzlich die Dachfläche begrünt, gibt es einen Aufschlag auf den städtischen Beitrag von 20 Prozent. In Zahlen: Bei einer Anlage mit 10 kWp sind es 8'800 Franken, mit 50 kWp fast 40'000 Franken «Zustupf». Und wenn man zur Miete lebt? Selbst dann hat St.Gallen eine Lösung, so Peter Graf: Die St.Galler Solar Community verkauft PV-Einheiten ihrer Anlagen für je 300 Franken. Dafür erhält man während 20 Jahren je 100 kWh Solarstrom, was den Zehn-Tages-Bedarf einer vierköpfigen Familie deckt.
So geht Energiewende. Auf dem Dach des Feuerwehrdepots greift Projektleiter Stark derweil zum Helm: Die Mittagspause ist vorbei, die laufende Depotsanierung geht weiter. Ein letzter Blick über die Stadt. Wie steht es eigentlich um PV in der Altstadt und den Denkmalschutz? «Wir haben bisher keine eigene PV-Anlage in der Altstadt. Bei der Aula vom Schulhaus Schönenwegen sieht man jedoch sehr gut, wie sowas funktionieren kann: Dort haben wir aus ästhetischen Gründen eine In-Dach-Anlage», sagt Stark. Geht nie etwas schief? «Gute Planung ist entscheidend, aber manchmal taucht natürlich etwas Unerwartetes auf. Bei der vertikalen PV-Anlage am Schlauchturm kam die Frage auf, ob sie die Besatzungen der Rega-Helis bei der Landung auf dem Dach des Kantonsspitals blendet. Das haben wir abgeklärt und das ist kein Problem.» Also ist St.Gallen voll auf PV-Zukunftskurs? «Ja! Das hat enorm Potenzial. Und freie Dächer haben wir noch mehr als genug.»