Wenn es im Stromnetz der Stadt St.Gallen klemmt, ist Anton Zünd meist einer der ersten, der es erfährt. Er arbeitet als Operator in der Netzleitstelle der Stadtwerke und nimmt täglich unzählige Anrufe entgegen. Darunter sind manchmal auch solche von frustrierten Kundinnen und Kunden.
Anton Zünd sitzt an seinem Schreibtisch und bearbeitet seine E-Mails. Vor ihm befinden sich sechs grosse Bildschirme, auf denen ein Teil des Stadtsanktgaller Stromnetzes zu sehen ist. Aus einem Radio ertönt leise Musik. Es ist früh am Morgen und im Netzbetrieb der St.Galler Stadtwerke noch wenig los. Das Telefon hat der 58-Jährige über ein Headset am Ohr. Es klingelt.
Ein Mitarbeiter informiert ihn, dass er als nächstes die Trafostation Walenbüchel kontrolliert. Zünd tippt Namen, Zeit und Ort in ein Programm ein. «Jeder Mitarbeiter muss sich bei mir melden, bevor er eine elektrische Anlage betritt und ebenfalls dann wieder, wenn er sie verlässt», erklärt er. Dies ist zur Sicherheit des Mitarbeitenden und des Unternehmens. Würde etwas passieren und man nicht wissen, wo der Mitarbeitende sei, müssten über 200 Trafostationen und fünf Unterwerke auf Stadtsanktgaller Gebiet sowie 40 Trafostationen auf Wittenbacher Boden abgeklappert werden.
Anton Zünd ist Operator der Netzleitstelle, dem zentralen Ort zur Überwachung und Bedienung der städtischen Stromversorgung. Mithilfe des Netzleitsystems, das auch als das Nervensystem des Stromnetzes bezeichnet wird, hat er den Überblick über einen grossen Teil des elektrischen Netzes. Zünd weiss, wo es eine Störung gibt und wie dringlich diese ist. Er nimmt die telefonischen Störmeldungen der Kundinnen und Kunden entgegen und entscheidet, ob ein Mitarbeiter vor Ort geschickt werden muss oder ob die Störung anderweitig behoben werden kann.
Im Versorgungsgebiet gibt es fünf Unterwerke und über 240 Trafostationen.
Bei ihm laufen alle Fäden zusammen, er ist das Bindeglied zwischen den Stadtwerken und den Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt St.Gallen, aber auch anderen Leitstellen wie Axpo, VBSG, Appenzeller Bahnen oder Stadtpolizei. Dass sich die Kundinnen und Kunden direkt bei ihm melden, komme oft vor. «Meistens sind herausgesprungene Sicherungen das Problem», sagt Zünd. Dies zu beheben, sei aber nicht Aufgabe der Stadtwerke. «Ich verweise die Personen dann auf den privaten Elektriker.»
«Grün bedeutet nicht dringend»
Wieder klingelt das Telefon, und mit der Ruhe ist es allmählich vorbei. Am anderen Ende der Leitung meldet sich eine Mitarbeiterin der Stadtpolizei. Sie will wissen, ob es weitere Informationen oder Reaktionen zur Störung in der vorangegangenen Nacht gebe. Anton Zünd verneint. Es sei nichts Gravierendes gewesen, sagt er. Die Stadtpolizei übernimmt für die Stadtwerke die Betreuung der Störungsnummer während der Nacht und am Wochenende und bietet bei einem Störungsfall den Bereitschaftsdienst der Stadtwerke auf.
Insgesamt sechs Teams mit jeweils fünf Personen leisten diesen Dienst abwechselnd und rücken bei Bedarf aus, um einen Stromunterbruch möglichst kurz zu halten. Am Tag danach bekommen die Stadtwerke den Rapport der Stadtpolizei über die Geschehnisse. Diesen zu kontrollieren, gehört ebenfalls zu den Aufgaben von Anton Zünd.
Die Netzleitstelle ist der zentrale Ort zur Überwachung und Bedienung der Stromversorgung. Sie wird in ihrer Arbeit durch das Netzleitsystem unterstützt, welches das Nervensystem der städtischen Stromversorgung darstellt. Das Netzleitsystem ist ein übergeordnetes Computersystem, welches die elektrischen Versorgungsnetze sowie Anlagen abbildet. Es steuert Schaltgeräte und Hilfsbetriebe und erhält sämtliche Prozessinformationen als auch Meldungen zu Mess- und Zählwerten. Das Netzleitsystem überwacht die betriebsrelevanten Anlagen rund um die Uhr und alarmiert bei einer Störung.
Kaum hat der Operator den Anruf mit der Stadtpolizei beendet, leuchtet eine grüne Lampe oberhalb der Türe auf. Gleichzeitig ertönt ein Alarm, der sich mehr wie eine Türklingel als eine Sirene anhört. Zünd blickt auf die Lampe und gibt sofort Entwarnung. «Grün bedeutet nicht dringend», sagt er und schaut im elektronischen Netzleitsystem nach, woher die Störungsmeldung kommt. «Der Alarm wurde in einem Unterwerk ausgelöst, indem gerade ein Notalarm getestet wird.» Solche Tests führen die Stadtwerke regelmässig durch. «Wir müssen sicherstellen, dass die Alarme im Notfall funktionieren», sagt Zünd und drückt auf die Q-Taste. Das heisst, der Operator hat den Alarm gesehen und registriert.
Die Mitarbeitenden der Stadtwerke führen in den Unterwerken und in den Trafostationen vielfach auch Unterhaltsarbeiten durch. «Egal, ob Hoch-, Mittel- oder Niederspannung: Wir kontrollieren jeden Schalter und alle fünf Jahre auch den Schutz der Stromleitungen.» Zudem werden regelmässig Umschaltungen im Netz gemacht, um zu schauen, ob der Strom im Störungsfall den anderen vorgesehenen Weg nimmt und die Versorgung weiterhin funktioniert. Konkret ins Netz eingreifen und beispielsweise eine Stromleitung unterbrechen, kann Zünd aber von seinem Arbeitsplatz aus nicht. Dafür muss er in die Schaltstelle, die sich in einem anderen Raum hinter einer dicken Glastür befindet und deren Zutritt lediglich berechtigten Personen erlaubt ist.
Egal, ob Hoch-, Mittel- oder Niederspannung: Wir kontrollieren jeden Schalter und alle fünf Jahre auch den Schutz der Stromleitungen.
Kein Tag ist wie der andere
Anton Zünd ist seit 13 Jahren Operator in der Netzleitstelle, arbeitet aber bereits seit 2001 bei den Stadtwerken. Als ausgebildeter Elektromonteur war er zunächst viel draussen, immer unterwegs mit den Monteuren, von einer Trafostation zur anderen, von einem Unterwerk zum anderen. Als der damalige Operator der Netzleitstelle gesundheitliche Probleme bekam, wurde ein Nachfolger gesucht. Zünd meldete sich und wurde genommen.
Zu Beginn war es ein 50-Prozent-Job, da er auf die Arbeit draussen nicht verzichten wollte. Organisatorisch war dies aber nicht immer leicht zu händeln und so entschied er sich nach ein paar Monaten, ganz in den Innendienst zu wechseln. «Ich war wirklich gerne mit den anderen Technikern unterwegs», sagt er. «Aber zehn Jahre sind genug, und jetzt bin ich sehr zufrieden und glücklich mit meinem Job als Operator.» Ihm gefällt die Abwechslung. Kein Tag sei wie der andere. «Wenn ich am Morgen die Tür zu meinem Büro öffne, weiss ich nicht, was der Tag bringt», sagt der 58-Jährige. Am Anfang habe ihn diese Ungewissheit noch etwas nervös gemacht. Doch je mehr Erfahrung er sammelte, desto gelassener wurde er.
Mit dem Funkgerät nach Hause
Ruhe bewahren und geduldig bleiben sind ohne dies zwei Eigenschaften, die es für die Arbeit in der Netzleitstelle braucht. Zum einen kann bei einem grösseren Stromunterbruch schnell Hektik ausbrechen. Zum anderen hätten sich die Beschimpfungen am Telefon durch unzufriedene Kundinnen und Kunden in den vergangenen Jahren gehäuft. Nicht aber, weil das Stromnetz unzuverlässiger geworden sei, sagt Zünd. «Die Menschen greifen heute schneller zum Telefon und reklamieren. Manchmal regen sie sich nur schon auf, wenn sie unsere Mitarbeitenden bei Bauarbeiten an den Trafostationen sehen.»
Grundsätzlich habe es in den vergangenen Jahren auf dem gesamten Stromnetz der Stadt immer weniger Störungen gegeben. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Systeme in den Unterwerken und Trafostationen laufend erneuert und immer mehr Leitungen in den Boden verlegt wurden. Doch gerade im vergangenen Winter ist das Thema der Strommangellage wieder aktuell geworden. «Pläne, wie das Netz im Ernstfall entlastet werden kann und muss, gibt es schon länger. Jetzt wurden sie aktualisiert und die Mitarbeitenden entsprechend geschult.» Eine Massnahme ist, dass jeder ein Funkgerät mit nach Hause bekommt. «Auch wenn das Stromnetz unterbrochen ist, müssen unsere Mitarbeitenden erreichbar sein», sagt der Operator.
Auch wenn das Stromnetz unterbrochen ist, müssen unsere Mitarbeitenden erreichbar sein.
Damit diese Geräte funktionieren, werden sie regelmässig getestet. So auch an diesem Morgen. Zünds Telefon klingelt ein weiteres Mal. Er nimmt ab, zunächst ist ein leichtes Rauschen zu hören. Nach ein paar Sekunden meldet sich der Mitarbeiter. «Alles bestens, ich verstehe dich sehr gut», sagt der Operator. Der Funk funktioniert. Kaum hat Zünd den Namen des Mitarbeiters und die Zeit des Tests notiert, kommt der nächste Anruf. Die Kontrolle bei der Trafostation Walenbüchel ist beendet. Der Mitarbeiter hat sie verlassen und ist auf dem Weg zur nächsten Anlage. Und schon bald wird beim Operator der Netzleitstelle das Telefon am Ohr wieder klingeln.