Punktgenau dokumentiert er das verborgene Versorgungsnetz der Stadt St.Gallen. Mit jahrelanger Erfahrung im Strassen- und Tiefbau sorgt Gregory Furrer als Einmesser der St.Galler Stadtwerke für die präzise Kartierung von Gas- und Wasserleitungen. Damit schafft er eine relevante Grundlage für die nachhaltige Stadtentwicklung bis 2050.
Mitten in der Siedlung Bruggwiesen klafft ein über 100 Meter langer Graben entlang des Zufahrtswegs. Nur für eine kurze Phase bleibt der Leitungskanal an der Rappensteinstrasse offen, bevor ihn das Tiefbauamt wieder mit Kiessand und Asphalt verschliesst. Dieses Zeitfenster nutzt Gregory Furrer, Einmesser und Erfasser des Geoinformationssystems (GIS) der St.Galler Stadtwerke, um Zustand und Veränderungen der Leitungsstränge in der offenen Baugrube zu dokumentieren. Mit geschultem Blick lehnt er sich über die Senke als wäre sie eine archäologische Fundstelle. Auf dem wetterfesten Klemmbrett skizziert er, was nur für wenige Stunden sichtbar ist – das unterirdische Versorgungsnetz. «Jede Leitung, jede Abzweigung erzählt ihre eigene Geschichte», schmunzelt der Einmesser. Seine Intuition als gelernter Strassen- und Tiefbauer kommt ihm zugute. 18 Jahre lang arbeitete er im Tiefbaubereich, bevor er vor zwei Jahren zu den St.Galler Stadtwerken wechselte.
Jeder Zentimeter zählt
Furrers Tag beginnt mit Koordination: meist telefonisch, gelegentlich direkt auf der Baustelle. Gemeinsam mit den Bauleitern klärt Furrer den Umfang der Vermessungsarbeiten, bevor er zum Einsatzort fährt. Bei jedem Projekt ist er vom ersten Ortstermin bis zum fertigen Plan im GIS involviert. «Ich muss genau wissen, was unter der Erde verläuft, sonst ist bei der Baustelle im schlimmsten Fall der Bagger schneller als die Informationsaufnahme», sagt er. Damit kein Baugerät versehentlich eine Leitung trifft, dokumentiert Furrer jeden einzelnen Aspekt: Leitungsverläufe, Materialien, Einbindungstiefe, Formstücke – selbst die Herstelleretiketten der Rohre fotografiert er. Beim Messvorgang sind moderne GPS- und Tachymeter-Systeme im Einsatz. Klassische Methoden, wie Laserdistanzmessung oder im Zweifelsfall sogar das Massband sorgen für die angepeilte Messgenauigkeit. «Technik hilft, ist aber nicht unfehlbar», beobachtet er. «Manchmal liegt die GPS-Genauigkeit nur bei Dezimetern – das reicht uns nicht. Wir vermessen auf den Zentimeter genau.»
Vom Schutt in die Datenbank
Zurück im Büro beginnt in einem zweiten Schritt die digitale Verarbeitung. Aus den Messpunkten erstellt Gregory Furrer sogenannte Punktelisten mit Angaben zu Lage, Höhe und Art der Leitung. Zugeordnete Fotos ergänzen die digitalen Unterlagen. Die Punktelisten lassen sich in ein Konstruktionsprogramm (CAD-Software) laden, welches die Punkte gemäss Koordinaten der Landesvermessung 95 (Schweizer Koordinatensystem) automatisch auf einer virtuellen Landkarte platziert. Dort zeichnet Gregory Furrer die genauen Leitungsverläufe ein. Als Ergebnis erhält er einen exakten Feldplan, den er ins GIS einspeist. Diese Datenbank, betrieben vom Rauminformationszentrum St.Gallen, ist die zentrale Basis für Planung, Betrieb und Wartung der städtischen Infrastruktur. Sie stellt sicher, dass Leitungen auch Jahre später geortet und gewartet werden können. Alte Leitungspläne, teils aus den 70er-Jahren, sind seit 2003 digitalisiert, wobei Einmesser bis heute fehlerhafte Leitungsverläufe korrigieren. «Ohne das GIS wären wir blind. Es ist die Grundlage für Versorgungssicherheit», führt Furrer aus. «Fachstellen und Unternehmungen greifen auf das System zu, um Leitungen gezielt zu finden. Präzision ist beim Erfassen entscheidend. Fehlerhafte Daten führen zu Mehrkosten, Fehlplanung und Schäden oder im schlimmsten Fall zu Versorgungsausfällen.»
Jede Abfrage zählt
Besonders bei Rohrbrüchen zeigt sich die Bedeutung von Furrers Arbeit. Das Pikett-Team greift im Notfall auf die aktuellen GIS-Daten zu, um die Schadensstelle schnell zu lokalisieren. Nach der Reparatur überprüft Furrer den Standort, misst die Leitungsverläufe erneut ein und aktualisiert die Feldpläne ausgedruckt für den Aktenordner und speichert sie zusätzlich als digitale Datei ab. «Nur so kann ich gewährleisten, dass die Informationen als Unterlagen und auf dem System verlässlich sind», erklärt er. «Die Kommunikation mit Monteuren, Bauleitern und Fachleuten ist wesentlich für eine erfolgreiche Absprache auf der Baustelle. Organisatorisch ist es eine erhebliche Herausforderung, die vielen Teams zu koordinieren, Zeitpläne einzuhalten und neue Erkenntnisse über die Infrastruktur unverzüglich zu verarbeiten.»
Ohne das GIS wären wir blind. Es ist die Grundlage für Versorgungssicherheit.
Vernetzt, aber nicht ersetzbar
Auch wenn Gregory Furrers Arbeit körperlich geprägt ist, schreitet die Digitalisierung auch in seinem Bereich voran. «Wir halten Schritt mit relevanten technologischen Entwicklungen, die auf unser Berufsbild Einfluss nehmen», erkennt er. Doch gegenüber rein digitalen Lösungen bleibt er skeptisch: «Künstliche Intelligenz kann einiges, aber sie ersetzt weder meine Erfahrung noch mein Bauchgefühl auf der Baustelle.» Aussichtsreich ist für den GIS-Erfasser jedoch die Bedeutung der Vermessungsdaten im ganzheitlichen Zusammenhang. «Die Informationen, die ich heute erfasse, helfen der Stadt St.Gallen bei der Umsetzung des Energiekonzepts 2050. Über das Geoinformationssystem lassen sich etwa besonders energieintensive Materialien identifizieren oder Gebiete mit Potential für Fernwärme erkennen.» Die Auswertung seiner Daten liefert die Grundlage für strategische Entscheidungen – ein Baustein auf dem Weg zur angestrebten Klimaneutralität.
Zwischen Erdreich und Ausgleich
Kommunikativ und herzhaft, wie der Hüne auftritt, ist es offensichtlich, dass er den direkten Austausch an seinen Einsatzorten schätzt und sich mit seinen ehemaligen Weggefährten auf Baustellen gut versteht. «Nur im Büro zu sitzen, kommt für mich nicht infrage. Ich muss auch mal mit den Stiefeln im Dreck waten», sagt Furrer. Privat sucht er die Nähe zur Natur. Neben Geocaching und Harley fahren baut er beim Bushcrafting im Wald aus Naturmaterialien Schlafstellen, Lagerfeuer und Werkzeuge, ohne nachträglich Spuren zu hinterlassen.
Furrer schliesst seine Arbeit ab. «Im grossen Getriebe bin ich nur ein kleines Zahnrad», lächelt er bescheiden – wohlwissend, dass ein Zahnrad zwar unauffällig im Hintergrund arbeitet, aber ohne seine Funktion das ganze System stillsteht. Furrers Einsatz scheint genauso diskret, wirkt aber entscheidend. Sorgfältig greift er ins grössere Ganze ein und gewährleistet damit, dass das Versorgungsnetz der Stadt St.Gallen gründlich verzeichnet ist.
