Die digitale Transformation bringt grosse Herausforderungen mit sich. Philipp Ditzel leitet den Bereich Digitalisierung und Informatik der St.Galler Stadtwerke und ist Mitglied der Geschäftsleitung. Im Interview erklärt er, welche neuen Projekte anstehen und was unter der sichtbaren «Spitze des Eisbergs» liegt.
Sie leiten den Bereich Digitalisierung und Informatik bei den St.Galler Stadtwerken. Was gehört zu Ihren Aufgaben?
Wir erweitern die digitalen Fähigkeiten der St.Galler Stadtwerke und bauen wo nötig neue Fähigkeiten auf. Unser Kerngeschäft ist es, verlässliche und sichere IT- und OT-Dienste bereitzustellen, damit die Versorgungsysteme für Strom, Wasser, Wärme, Gas und Glasfaser reibungslos funktionieren. Die Bereitstellung von Energie befindet sich in einem Umbruch, da immer mehr dezentrale Anlagen und Daten hinzukommen. Mit unserem neuen Energieportal haben wir beispielsweise einen attraktiven digitalen Kanal geschaffen, den wir in den folgenden Jahren entlang der Bedürfnisse unserer Kunden weiter ausbauen.
Wie meistern die St.Galler Stadtwerke die digitale Transformation?
Wie alle Versorgungsbetriebe stecken wir mitten in einem Wandel – mit einigen Veränderungsschmerzen, aber auch vielen Lichtblicken. In der neuen Energiewelt agiert auch der Kunde als Produzent, indem er zu Hause Strom produzieren kann. Zudem ändern sich die Bedürfnisse des Strombezugs, vor allem durch die E-Mobilität und die Elektrifizierung der Wärme, sprich den vermehrten Einsatz von Wärmepumpen. Bei der digitalen Transformation der Energiewirtschaft geht es darum, die zunehmend verfügbaren Daten sinnvoll zu nutzen und die Planungs- und Betriebsabläufe zu unterstützen.
Philipp Ditzel arbeitet seit 2019 bei den St.Galler Stadtwerken. Er studierte Umwelttechnik und Public Management und war lange als Consultant für das Beratungsunternehmen Dorsch International Consultants tätig, wo er im Nahen Osten Infrastruktur- und Transformationsprojekte in der Versorgungsbranche betreute. Danach wechselte Philipp Ditzel zu Eniwa, einem Aargauer Energieversorgungsunternehmen. Dort war Ditzel ebenfalls mit Digitalisierungsprojekten in den Netzen betraut. Der 41-jährige Familienvater geht in der Freizeit gerne wandern und liest zeitgenössische Literatur.
Um die Digitalisierung und Automatisierung voranzutreiben, haben die St.Galler Stadtwerke seit 1. Januar 2023 den neuen Bereich Digitalisierung und IT mit zusätzlichem Fachpersonal aufgebaut. Wie entwickelt sich die organisatorische Neuaufstellung?
Der personelle Ausbau der IT und OT ist ein starkes Commitment der St.Galler Stadtwerke zur digitalen Transformation. Die Neuaufstellung anfangs Jahr war ein wichtiger Schritt, um digitale Lösungen über alle Geschäftsfelder zusammenzudenken, denn Funktionen wie Datenmanagement, Automatisierung oder Applikationsmanagement greifen ineinander. Wir können diese nicht mehr losgelöst voneinander betrachten. Um die Transformation erfolgreich zu meistern, haben wir in einem Think-Tank, an dem alle Geschäftsbereiche beteiligt waren, partizipativ ein Zielbild erarbeitet. Dieses setzen wir nun Schritt für Schritt um. Der Weg zur digitalen Transformation und organisatorischen Neuaufstellung war herausfordernd, doch dieser Prozess war wichtig, um die finalen Abläufe und Lösungen zu finden.
Bei der digitalen Transformation der Energiewirtschaft geht es darum, die zunehmend verfügbaren Daten sinnvoll zu nutzen
Was stellen die grössten Herausforderungen Ihrer Arbeit dar?
Der digitale Wandel geht viel tiefer als gemeinhin angenommen. Ich vergleiche das gerne mit dem Bild des Eisbergs, dessen Spitze die «sichtbare» Digitalisierung in Form von Automatisierung, Datenmanagement oder Cyber Security darstellt. Unter der Spitze liegt der Grossteil des Eisbergs, der auf den ersten Blick nicht sichtbar ist: Die Zusammenarbeit der Mitarbeitenden. Die Arbeitskultur geht bei der Digitalisierung oft vergessen – obwohl sie eine entscheidende Voraussetzung für den digitalen Wandel ist: Wie organisieren wir uns? Wie denken wir vernetzt? Wie bleiben wir beweglich? Wie arbeiten wir selbstorganisiert? Zudem sucht momentan die ganze Welt IT-Fachkräfte – die Rekrutierung ist also nicht ganz einfach. Optimistisch stimmt mich aber, dass das Thema Energie verstärkt auf Interesse stösst und Bewerbende es als sinnvoll betrachten, sich beruflich mit der Energiewende zu beschäftigen.
IT heisst Informationstechnik und beschreibt die elektronische Datenverarbeitung, um Geschäftsprozesse zu unterstützen. OT bedeutet Operational Technology, zu Deutsch operative Technologie. Diese Technologie umfasst die Hard- und Software, inklusive Sensortechnik und Datenkommunikation, um Betriebs- und Produktionsprozesse zu steuern.
Mit welchen Projekten sind Sie aktuell beschäftigt?
Die aktuellen Projekte reichen von der Einführung eines neuen Energieportals für unsere Kundinnen und Kunden über den Aufbau einer Automatisierungsplattform bis hin zum Ausbau des städtischen Netzes für das «Internet der Dinge» (IoT: Internet of Things). Ausserdem bauen wir gerade eine neue Abteilung für digitale Innovation auf, etablieren den Bereich Datenmanagement und investieren in die digitale Sicherheit. Ein aussergewöhnliches Projekt ist zudem der digitale Energieberater. Als Innoswiss-Projekt gemeinsam mit der Fachhochschule OST gestartet, verknüpfen wir verfügbare Gebäude- und Energiedaten, damit wir unsere Kundinnen und Kunden bestmöglich nach ihren Energiebedürfnisse beraten können. Dazu inspirieren uns der Austausch mit der Kundschaft in Design-Thinking-Formaten, Diskussionen mit Fachexpertinnen und Fachexperten oder die Teilnahme an Hackdays.