Die Energiebranche verändert sich stark – und wird auch in Zukunft dynamisch bleiben. Einer, der sich bei den sgsw mit diesen Veränderungen beschäftigt, ist Peter Graf. Er arbeitet seit 30 Jahren bei den sgsw, die letzten 21 Jahre als Bereichsleiter Energie, Verkauf und Marketing sowie als Mitglied der Geschäftsleitung.
Wir sind mitten im Winter. Wie sieht die aktuelle Energiesituation aus?
Die Lage ist deutlich besser als im letzten Winter. Damals war die Situation ernst, weil es kein oder nur sehr wenig russisches Gas gab und die Alternativ-Lieferketten zunächst aufgebaut werden mussten. Erschwerend kam hinzu, dass die Lieferung von verflüssigtem Erdgas (LNG) aus den USA nicht ausreichend sichergestellt werden konnte und der französische Kernkraftwerk-Park nur zur Hälfte in Betrieb war. Heute haben wir ein Jahr mehr Erfahrung. Die alternativen Belieferungen von LNG sind in dieser Zeit stabiler geworden und die französischen Kernkraftwerke laufen zu dreiviertel. Trotzdem bleiben gewisse Unsicherheiten, auch aufgrund von Abhängigkeiten. Falls es einen kalten Winter, Sabotageakte oder anderweitige Probleme bei den Lieferketten gibt, könnten wir wieder in eine ernste Situation kommen. Momentan ist die Lage gut, von Entspannung würde ich aber nicht sprechen.
Nach seinem Werdegang gefragt, sagt Peter Graf mit einem Lachen: «Stadtwerke, Stadtwerke, Stadtwerke.» Nach einer KV-Lehre in der Stadtverwaltung wechselte der heute 50-Jährige als Sachbearbeiter zu den sgsw. Das war vor 30 Jahren. In der Folge bildete er sich laufend weiter und konnte intern verschiedene Positionen übernehmen. Seit 21 Jahren ist er nun Bereichsleiter, zunächst von Marketing und Vertrieb, dann kam das Energiegeschäft mit Strom und Gas dazu. Ebenso lang ist Peter Graf Mitglied der Geschäftsleitung. Der gebürtige Engelburger wohnt seit über 35 Jahren in der Stadt St.Gallen und ist seit 26 Jahren verheiratet. In seiner Freizeit geht er gerne mit seinen zwei Hunden spazieren. Er engagiert sich zudem in der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Tablat-St.Gallen, wo er das Präsidium innehat.
Die Energiepreise sind stark gestiegen. Werden sie weiter steigen?
Der Gaspreis wurde auf 1. Januar 2024 um 3 Rappen gesenkt. Beim Strom hingegen haben wir eine Preiserhöhung von durchschnittlich 11 Prozent. Dies, obwohl der Energiepreis leicht gesenkt werden konnte. Der Strompreis setzt sich jedoch nicht nur aus Kosten für die Energie, sondern auch für die Infrastruktur zusammen. Und da müssen wir Investitionen tätigen, um das Netz auf die künftigen Anforderungen vorzubereiten. Ein Beispiel ist die Installation von intelligenten Zählern. Zur Preiserhöhung trägt aber auch die neue Strompreis-Komponente bei, die der Bund schweizweit eingeführt und mit der Energiemangellage zu tun hat. Diese sogenannte Winterstromversicherung kostet jeden Haushalt 50 Franken pro Jahr und soll die Menschen davor schützen, wieder in eine ähnliche Situation zu kommen wie im letzten Winter. Dafür sorgt unter anderem auch das Notkraftwerk im aargauischen Birr, das sowohl mit Gas als auch mit Öl und synthetischen Treibstoffen betrieben werden kann. Mit unserer Preiserhöhung von 11 Prozent liegen wir aber unter dem nationalen Durchschnitt von 18 Prozent.
Nebst dem Energiegeschäft sind Sie auch für andere Bereiche zuständig. Welche sind das?
In meinem Bereich verantworte ich ein breites Spektrum. Da gehören neben dem energieseitigen Strom- und Gasgeschäft der Kundendienst mit dem Call-Center, die Marketingkommunikation, das Produktportfoliomanagement sowie der zentrale Verkauf, unter anderem von Fernwärme- und Gas-Anschlüssen, Wärmekraftkopplungsanlagen, Wärmepumpen-Contracting, Photovoltaik-Anlagen und Ladestationen für die Elektromobilität dazu. Hinzu kommt noch die Betreuung des Wärmeversorgungsplans, wovon die passende Heizungslösung für jedes Gebäude abgeleitet werden kann.
Der Strompreis setzt sich nicht nur aus Kosten für die Energie, sondern auch für die Infrastruktur zusammen.
Mit welchen Projekten sind Sie aktuell beschäftigt?
Aktuell beschäftigen wir uns unter anderem mit der Frage nach der Tarifgestaltung der Zukunft. Der bisherige Hoch- und Niedertarif ist energieseitig nicht mehr zeitgemäss. Mit den Grundlastkraftwerken wie den Kernkraftwerken wird Tag und Nacht viel Strom produziert. Mit der Hoch- und Niedertarifdifferenzierung hat man einen Anreiz gesetzt, um den Stromverbrauch vom Tag in die Nacht zu verschieben. Diese Situation wird sich jedoch ändern. Die Grundlastkraftwerke werden zurückgehen und wir werden, hauptsächlich wegen der Photovoltaik, am Tag zu viel Strom haben. Da die Sonne aber nicht jeden Tag gleich stark scheint, müssen wir bezüglich Preisgestaltung flexibler werden. Doch wie gehen wir mit dieser Flexibilität um? Wie können wir für die Kundschaft die richtigen Anreize schaffen? Solche Fragen diskutieren wir momentan. Ein weiteres Projekt, das wir als Stadtwerke verfolgen, sind die Energieflüsse, deren Produktion sich immer mehr von zentral zu dezentral verändern. Hierfür wollen wir im Rahmen eines Reallabors zusammen mit der Bevölkerung herausfinden, wie wir diese Energieflüsse künftig gestalten müssen, um sie am besten nutzen zu können.
Wo sehen Sie derzeit die grössten Herausforderungen?
Die Öffnung der Energiemärkte (Strom und Gas) sowie der ökologische Umbau der Energieversorgung werden zurzeit stark vorangetrieben. Doch für mich sind diese beiden Vorhaben nicht unbedingt kompatibel. Die Marktöffnung hat eigentlich zum Ziel, dass die Kundschaft zum günstigsten Anbieter wechseln kann. Dieser Preisdruck führt jedoch dazu, dass die Refinanzierung der für den ökologischen Umbau nötigen Investitionen nicht gewährleistet ist und diese deshalb nur dann getätigt werden, wenn der Staat Subventionen dafür zahlt. Dies ist unlogisch. Es wäre klüger, ein Marktdesign zu entwerfen, das nicht von Subventionen abhängig ist und den ökologischen Umbau beschleunigt. Davon sind wir leider weit entfernt. Ich habe keine Patentlösung, aber wir sollten mehr darüber reden, wie neue Anlagen gebaut werden können, die in einer Marktpreis-Systematik funktionieren.