Das Energiekonzept 2050 der Stadt St.Gallen ist der Fahrplan in die Energiezukunft. Viele Massnahmen werden von den St.Galler Stadtwerken umgesetzt. Teil 2 der Serie zum Energiekonzept widmet sich Erfolgen und Hürden – und Unternehmensleiter Marco Letta erläutert Ziele des ökologischen Umbaus.
Der Fahrplan steht. Aber damit es ans Ziel geht, braucht es einen Chauffeur: So lässt sich vereinfacht die Rolle der der St.Galler Stadtwerke (sgsw) im Energiekonzept 2050 auf den Punkt bringen. «Wir sind», so formuliert es Marco Letta, Unternehmensleiter der sgsw, «ein bedeutender Umsetzer des Energiekonzepts.» Denn die konkreten 88 Massnahmen betreffen zwar nicht immer, aber eben doch oft die sgsw.
Was das städtische Energiekonzept 2050 ist, beschreibt Teil 1 unserer Serie. In Kürze: Seit 2011 dient das Energiekonzept als Leitfaden für den Weg in die Klimaneutralität. Ziel: Bis 2050 sollen klimarelevante Emissionen aus dem Bereich Energie, Konsum und Ressourcen auf Null reduziert werden, was dem Willen des Souveräns entspricht; 2020 wurde Klimaneutralität mit über 80 Prozent Zustimmung in der Gemeindeordnung der Stadt verankert. 2050 soll die gesamte Energie, die in St.Gallen genutzt wird, erneuerbar und CO2-neutral sein.

Sektorenkopplung einfach erklärt
Eine Schlüsselrolle nimmt bei den sgsw die Sektorenkopplung ein. Was heisst das denn, Herr Letta? «Sektorenkopplung – oft auch als Netzkonvergenz bezeichnet – bedeutet, die wichtigsten Sektoren der Energienutzung intelligent miteinander zu verknüpfen», erläutert Letta, seit acht Jahren Unternehmensleiter. «So entsteht ein Energiesystem über alle Infrastrukturen hinweg. So kann beispielsweise aus Gas Strom und Wärme produziert werden, mit dem Strom können gleichzeitig Wärmepumpen betrieben und Elektrofahrzeuge geladen werden. Die Wärme wird für Nah- und Fernwärme genutzt. Damit das alles bedarfsgerecht gesteuert werden kann – und die Batterien in den Elektrofahrzeugen auch als Speicher eingesetzt werden können – braucht es Datennetze. Anhand dieser können Produktion und Nachfrage aufeinander abgestimmt werden. Dafür setzen die sgsw ihr Glasfasernetz ein. Ein solch smartes Energiesystem entsteht jetzt in St.Gallen.»
Diese Sektorenkopplung ist auch einer der Gründe, weshalb das Bundesamt für Energie der Klosterstadt den renommierten «Watt d’Or» für Pionierleistungen bei der Energiewende verliehen hat: Bereiche wie Wärme, Strom und Mobilität werden bei den sgsw nicht getrennt, sondern stets gemeinsam betrachtet. Denn jede Veränderung eines Parameters wirkt sich auf das Gesamtsystem aus – und die Sektorenkopplung ermöglicht es dann, alle anderen Parameter des Systems zielgerecht zu steuern.

Fernziel ist das virtuelle Kraftwerk
«Unsere Strategie ist darauf ausgerichtet, nachhaltig, wirtschaftlich und versorgungssicher zu bleiben», betont Letta. Der Ausbau der Fernwärme, der Zubau von Photovoltaik-Anlagen und Ladestationen – in all diesen Disziplinen kommt St.Gallen dank des ganzheitlichen Herangehens flott voran. Als Fernziel nennt Letta das «virtuelle Kraftwerk St.Gallen». Das heisst: Strom und Wärme werden lokal und dezentral erzeugt, aber gesamthaft betrachtet und gesteuert. Eine Photovoltaik-Anlage auf einem Hausdach speist dann also nicht einfach nur das betreffende Gebäude: Die PV-Anlage wird zu einem der vielen kleinen lokalen Kraftwerke, die gemeinsam das grosse St.Galler Energieganze bilden.
Die Herausforderungen für die sgsw und ihre über 300 Mitarbeitenden sind gross: Der Umbau verlangt Investitionen – und Zeit. Marco Letta nennt zwei Beispiele, die verraten, was sich hinter den Kulissen tut. «Ab dem Jahr 2035 wird die Spannung im Mittelspannungsnetz schrittweise von 10'000 auf 20'000 Volt erhöht.» Denn durch E-Mobilität, PV-Anlagen und Wärmepumpen erhöhen sich die Lastspitzen im Stromnetz bis zum Jahr 2050 auf das Doppelte – und für eine stabile Versorgung muss ein Stromnetz auf die höchste denkbare Belastung ausgelegt sein. Also müssen in Unterwerken und Trafostationen bis zum Ende der Spannungsumstellung diverse Transformatoren sowie Leitungen ersetzt werden. «Das ist mit Herausforderungen verbunden», so Letta. Auch könnte eines Tages der Hoch- und Niedertarif passé sein. Denn der Nachttarif sollte den Stromverbrauch ja einst in die Nacht verschieben. Doch künftig kommt der Strom nicht konstant aus grossen Kraftwerken, sondern zum Beispiel tagsüber aus PV-Anlagen. Deshalb wären dynamische Tarife sinnvoll. «Aber», so Letta, «für dynamische Tarife braucht es intelligente Stromnetze und intelligente Stromzähler. Auch aus diesem Grund installieren wir bis zum Jahr 2028 überall in der Stadt neue Messsysteme.»
Erfolge bestärken den Weg
Als Musterbeispiel für Erfolge nennt Letta die Fernwärme. Diese reduziert die CO2-Emissionen nachhaltig und trägt entscheidend zum Erreichen des Netto-Null-Ziels der Stadt St.Gallen bei. Bereits sind fast 1000 Gebäude daran angeschlossen und beziehen jährlich 161 Gigawattstunden (GWh) an Energie. Bis 2050 soll es dann rund doppelt so viel sein. Nach dem Ja des St.Galler Stimmvolks im vergangenen Jahr läuft nun die nächste Ausbauetappe der Fernwärme an: Bis in etwa 15 Jahren sollen sich dann im Fernwärmegebiet alle anschliessen können, die das möchten – denn die Fernwärme macht je mehr Sinn, je mehr Gebäude angeschlossen sind. Nur: Was, wenn ein Heizungsersatz nötig wird, ehe das Netz der Fernwärme ein Gebäude erreicht? «Dann versuchen wir bei den sgsw, mit der Kundschaft eine individuelle Lösung zur Überbrückung zu finden, bis ein Anschluss an die Fernwärme möglich ist. Das kann etwa eine Gasheizung sein. Manchmal muss man zuerst eine zweitbeste Lösung wählen, um am Ende die beste zu bekommen.» Überhaupt seien Aufklärung und Beratung essenzielle Faktoren. «Unser Know-how hilft den St.Gallerinnen und St.Gallern, die richtigen Lösungen für ihre Liegenschaften zu finden und umzusetzen», betont Letta.
Sektorenkopplung heisst, die wichtigsten Bereiche der Energienutzung intelligent zu verbinden.
Es gibt also einiges zu tun für die sgsw, die eine Vielzahl der rund 88 Massnahmen aus dem städtischen Energiekonzept 2050 umsetzen, doch die Realisierung läuft mit Hochdruck – und ist auf Kurs. Bei der Photovoltaik lautet das städtische Ziel für das Jahr 2050 zum Beispiel 150 MWp (Megawatt peak). Dies verlangt einen jährlichen Zubau von 4,5 Megawatt, wovon die sgsw 1,5 Megawatt selbst zubauen wollen. Im Jahr 2023 wurde dieses Ziel übertroffen. «Deshalb ist es auch entscheidend, dass man sich realistische Ziele setzt», sagt Letta. Wie sind die Feedbacks der Bürgerinnen und Bürger auf den Kurs und das Tempo der Umsetzung? «Ich werde immer wieder auf Versorgungsthemen angesprochen und spüre Rückhalt und Wertschätzung. Diese positive Haltung bei der Bevölkerung zeigt sich auch im Abstimmungsverhalten. Diese breite Anerkennung unserer Arbeit treibt unsere Mitarbeitenden und mich an und macht St.Gallen zu etwas Besonderem: Denn der ökologische Umbau gelingt nur, wenn wir uns gemeinsam engagieren.»