Bis das Trinkwasser aus den Hähnen der St.Galler Haushalte fliesst, hat es viele Kilometer zurückgelegt und einige Höhenmeter überwunden. Aufbereitet wird das aus dem Bodensee stammende Trinkwasser im Seewasserwerk Frasnacht. Seit über acht Jahren ist Rolf Bügler für diese Anlage verantwortlich.
Rolf Bügler trägt lange Hosen, feste Schuhe und eine warme Jacke – obwohl die Sonne an diesem frühen Morgen bereits kräftig scheint. Darauf angesprochen lacht der 57-Jährige und sagt: «Ohne gute Kleidung würde es mich an meinem Arbeitsplatz schon nach wenigen Stunden frieren.» Bügler arbeitet seit mehr als acht Jahren für die St.Galler Stadtwerke (sgsw) als Anlagenwart im Seewasserwerk Frasnacht. Hier wird das Trinkwasser für die ganze Stadt St.Gallen aufbereitet und es stammt zu 100 Prozent aus dem Bodensee.
Im Seewasserwerk ist es auch an warmen Tagen wegen des Wassers in den Leitungen ziemlich kühl – und es ist laut, wenn die Trinkwasserproduktion läuft. Rolf Bügler überwacht die Anlage und kontrolliert das Wasser. Durchschnittlich werden täglich über 20 000 Kubikmeter Trinkwasser in «hervorragender Qualität» ins 14 Kilometer entfernte St.Gallen gepumpt. «An Hitzetagen, wie es im August 2023 einige gegeben hat, ist der Bedarf grösser. Dann werden in der Stadt und Umgebung über 30 000 Kubikmeter Wasser pro Tag verbraucht.»
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Wasser aus 60 Metern Tiefe
Von aussen wirkt das Seewasserwerk, das direkt am Radweg zur Bodenseerundfahrt und nur wenige Meter vom See selbst entfernt liegt, unscheinbar: ein funktionaler rechteckiger Bau aus roten Backsteinziegeln. Doch das Innere zeigt die wahre Grösse des Seewasserwerks – und die ist beeindruckend. Fünf Stockwerke umfasst das Werk, wobei sich vier davon unter der Erde befinden. Von der Galerie aus ist der Blick auf alle Etagen möglich. Ganz unten befinden sich die antriebstärksten Pumpen, längsten Leitungen und grössten Behälter. Hier findet – vorwiegend nachts – die Aufbereitung des Trinkwassers statt. Dafür muss das Seewasser aus dem Bodensee in 60 Metern Tiefe entnommen werden. Dies geschieht über eine 1,5 Kilometer lange Seeleitung.
Im Werk angekommen, wird es in einem mehrstufigen Verfahren gereinigt und anschliessend mittels riesiger Pumpen und Rohre in die Transportleitungen gedrückt. «Das Aufbereitungsverfahren unterliegt strengen Qualitätsvorschriften», sagt der Anlagenwart und erklärt, dass das Seewasser zuerst mit Ozon voroxidiert wird. Danach werden Trübstoffe mittels Schnellinfiltration über Quarzsand und Bims entfernt, dann erfolgt eine weitere Oxidation mit Ozon, um Mikroorganismen abzutöten und eine Adsorption über Aktivkohlefilter, um Schadstoffe zu entfernen. «Eine Desinfektion mit Chlor ist nicht nötig, da das Wasser aus dem Bodensee eine gute Qualität hat.»
Ein Seebub bleibt eben ein Seebub und der Bodensee für mich die grösste Faszination.
Seit 25 Jahren in Betrieb
Das Seewasserwerk Frasnacht wurde 1998 gebaut und gehört zu den bestausgerüsteten Wasserwerken der Schweiz. Die sgsw sind zwar für die Verteilung des Trinkwassers zuständig, für die Produktion ist es aber die Regionale Wasserversorgung St.Gallen AG (RWSG). Dies ist ein Zusammenschluss von zwölf Ostschweizer Gemeinden und Korporationen, wobei die Betriebsführung der Anlagen bei den sgsw liegt. Im Unterschied zu den anderen Partnern beziehen die St.Galler Stadtwerke ihr Trinkwasser vollständig von der RWSG. Das Seewasserwerk beliefert die Gemeinden über verschiedene Pumpwerke und Wasserreservoire mit Trinkwasser. Das gesamte Transport- und Verteilnetz ist rund 246 Kilometer lang. Jährlich werden über 8,5 Millionen Kubikmeter Wasser transportiert. Dabei müssen teilweise über 500 Höhenmeter bis zu den Wasserreservoiren überwunden werden.
Rolf Bügler ist im thurgauischen Steckborn am Untersee aufgewachsen. Nach seiner Ausbildung zum Elektromechaniker bildete er sich unter anderem im Steuerungsbereich weiter und programmierte Beschneiungsanlagen in den Bergen und Maschinen für die Baumwollverarbeitung. Als er die Zusage für die Stelle in Frasnacht bekommen habe, sei er überglücklich gewesen. «Ein Seebub bleibt eben ein Seebub und der Bodensee für mich die grösste Faszination», sagt er. Im Seewasserwerk Frasnacht beginnt für ihn der Arbeitstag morgens um sieben Uhr mit einem Blick auf die vergangenen zwölf Stunden. «Ich will wissen, wie die Produktion in der Nacht verlaufen ist», sagt er. Dann folgen Kontrollgänge, bei denen er die verschiedenen Anlagen, Leitungen und Pumpen überprüft. Zu seinen Aufgaben gehört auch der regelmässige Blick auf die Werte der Wasserqualität. «Die Messungen finden hauptsächlich automatisch statt», sagt er, «aber ich muss die Temperatur, den pH-Wert oder die Trübung im Auge behalten.»
Die Herausforderung Quagga-Muschel
Was ihn schon seit Längerem beschäftigt, ist die Quagga-Muschel. Ursprünglich im Aralsee und Schwarzmeerraum beheimatet wurde sie 2016 erstmals auch im Bodensee entdeckt. Seither hat sie sich massiv ausgebreitet. Die Trinkwasserqualität ist durch die Quagga-Muschel nicht gefährdet, da sie bei der Aufbereitung des Wassers entfernt wird. Für die Trinkwasserversorger stellt sie dennoch ein Problem dar: Sie wächst gerne an den Fassungskörben und in den Rohren. Dadurch kann sie die Leitungen verstopfen. «Einmal im Jahr lassen wir eine Unterwasserdrohne durch die 1,5 Kilometer lange Seeleitung schwimmen, um zu kontrollieren, ob die Population der Quagga-Muschel zugenommen hat», sagt Bügler, der an seinem Arbeitsplatz auch zwei Zuchtkisten stehen hat, in denen er die Muschel und deren Ausbreitung auf kleinem Raum beobachtet. Zurzeit sei das Wachstum in den Rohren «übersichtlich» und mache ihm weniger Sorgen als auch schon. Und für die Körbe habe man eine gute Lösung gefunden: «Wir bekommen nächstes Jahr zwei neue Fassungskörbe. So können wir sie regelmässig austauschen und reinigen.»

Mittlerweile ist das Trinkwasserreservoir für den nächsten Tag gefüllt und Bügler kann sich um andere Arbeiten und Projekte wie den Einbau der beiden neuen Notstromgeneratoren kümmern. Sie sollen künftig dafür sorgen, dass auch dann Wasser in die Stadt fliesst, wenn kein Strom da ist. Damit das funktioniert, werden die beiden Aggregate mit Diesel betrieben. Hierfür müssen zwei Abgaskamine auf dem Dach erstellt werden. Die Planung ist weit fortgeschritten, der Einbau für das erste Halbjahr 2024 vorgesehen. Betriebsbereit soll die Notstromversorgung dann ab Mitte 2024 sein. Aber ob drohende Stromlücke oder Quagga-Muschel – Anlagenwart Rolf Bügler kümmert sich weiterhin darum, dass das Seewasserwerk zuverlässig produziert und auch 25 Jahre nach Inbetriebnahme Trinkwasser vom Bodensee in die St.Galler Haushalte liefert.