Ob Sommerhitze oder Winterfrost – die Energieversorgung muss jederzeit zuverlässig funktionieren. Damit in der Stadt St.Gallen die benötigten Mengen an Wärme, Gas und Wasser zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, braucht es präzise Prognosen. Silvan Müller, Fachmitarbeiter der St.Galler Stadtwerke, erklärt, wie er mit seinem Team den Energiebedarf voraussagt.
Welche Daten fliessen in Ihre Prognosen für den Energiebedarf ein?
Unsere Prognosen sind die Basis für die Energieversorgung der Stadt St.Gallen. Anhand detaillierter Daten prognostizieren wir, wie viel Gas, Wasser oder Fernwärme die Bevölkerung benötigt. Das ist wichtig, um die Produktion optimal einzustellen.
Den grössten Einfluss auf den Energiebedarf hat die Aussentemperatur. Vier Mal täglich erhalten wir Prognosedaten für die kommenden sieben Tage. Auch der Wochentag, die Uhrzeit oder Ferien fliessen in die Berechnungen ein, denn je nach dem ändert sich das Kundschaftsverhalten. Relevant sind auch technische Faktoren. Etwa, ob weitere Liegenschaften ans Fernwärmenetz angeschlossen werden oder ob eine Produktionsanlage gerade in Revision ist.
Bei der Aussentemperatur vergleichen wir die Prognosen mit den tatsächlich gemessenen Daten. Schon eine Abweichung von nur einem Grad hat zur Folge, dass massiv mehr oder weniger Energie aus dem Netz bezogen wird. Die Qualität der Daten ist darum entscheidend. Ist die Datengrundlage schlecht, nützt auch das beste Berechnungsmodell nichts.
Die Prognosen sollen sicherstellen, dass die Ressourcen möglichst gezielt eingesetzt werden. Wie funktioniert das genau?
Wir erstellen sogenannte Portfoliopläne. Basierend auf den erwähnten Daten prognostizieren wir den Lastgang, also die Energiemenge, die unsere Kundinnen und Kunden in den nächsten Tagen benötigen und die unsere Anlagen produzieren müssen. Diese Berechnungen werden ins Leitsystem eingespeist, das die einzelnen Anlagen – Wärmetauscher, Blockheizkraftwerke, Holzfeuerungen oder Heizkessel – entsprechend steuert.
Die Leistung berechnen wir für jede Viertelstunde des Tages. So stellen wir sicher, dass unsere Anlagen optimal eingesetzt werden und die Energieproduktion sowohl ökologisch wie auch ökonomisch erfolgt. Ein Beispiel: Gibt es überschüssige Abwärme aus der Kehrichtverbrennung, wird sie in einem Warmwasserspeicher eingelagert. Steigt die Nachfrage am Abend an, wenn viele Menschen warm duschen möchten, nutzen wir die gespeicherte Wärme. So können wir die Leistungsspitzen mit ökologisch produzierter Energie brechen statt mit Öl oder Gas. Wer vorausschauend plant, hat klar einen Vorteil gegenüber einer «just in time»-Produktion.
Bei der Fernwärmeversorgung gibt es besondere Herausforderungen. Was macht sie so komplex?
Der Grund ist die Netzhydraulik – also der Wasserkreislauf. Man kann sich das so vorstellen: In der Stadt gibt es vier Fernwärmezentralen, die in das gleiche Netz einspeisen. Dort wird mit Dampf aus der Kehrichtverbrennung Heisswasser produziert. Grosse Pumpen sorgen dafür, dass dieses Wasser mit einer Geschwindigkeit von etwa einem Meter pro Sekunde im Netz zirkuliert und die angeschlossenen Liegenschaften mit Heizwärme und Warmwasser versorgt werden. Entscheidend ist dabei der richtige Druck – sonst kommt das Heisswasser nicht zu den Kundinnen und Kunden. Mit Netzsimulationen können wir den erforderlichen Druck an jeder Stelle im Netz berechnen, woraus sich für jede Pumpe die optimale Leistung ableiten lässt.
Wer vorausschauend plant, hat klar einen Vorteil gegenüber einer ‹just in time›-Produktion.
Die Energieversorgung soll heute nicht nur zuverlässig sein, sondern auch umweltfreundlich. Welche Rolle spielt dieser Aspekt bei Ihrer Arbeit?
Eine sehr grosse. Dank unserem System und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz können wir schon heute gleichzeitig ökologisch und wirtschaftlich produzieren – ohne Abstriche bei der Versorgungssicherheit.
In Zukunft müssen unsere Anlagen so ausgelegt sein, dass Öl und Gas durch nachhaltige Energieträger substituiert werden können. Ein Beispiel ist das geplante Altholzheizkraftwerk. Mit unserem System konnten wir den Betrieb dieser Anlage bereits im Vorfeld simulieren. Auch haben wir durchgespielt, ob sich das kühle Rücklaufwasser von Wärmepumpen mit erneuerbarem Strom nochmals aufheizen lässt. Solche Ideen können wir in unserem System praxisnah abbilden.
Mit welchen Projekten sind Sie aktuell beschäftigt?
Silvan Müller, aufgewachsen in Amriswil, machte eine Lehre als Polymechaniker in der Lebensmittelindustrie und arbeitete im Anlagenbau in der Milchwirtschaft. Später folgte ein Studium (Techniker HF Maschinenbau). Seit 11 Jahren arbeitet er bei den sgsw – zuerst im Bereich Fernwärme, dann im Aufbau des Betriebsdatenmanagements.
In seiner Freizeit ist Silvan Müller am liebsten aktiv: Gemeinsam mit seiner Partnerin ist er mit dem Bike oder dem Rennvelo unterwegs. Im Sommer trifft man ihn auch oft am Bodensee, wo er sich mit Freunden ein Motorboot teilt. Für Hobbys bleibt momentan aber wenig Zeit: Silvan Müller absolviert eine Weiterbildung mit dem Ziel, einen Master in Business Administration zu erlangen.
Im Vordergrund steht der Ausbau des städtischen Fernwärmenetzes. Das bedeutet auch für uns viel Arbeit, denn wenn draussen gebaut wird, muss auch unser Simulationssystem – quasi der digitale Zwilling neues Fenster – entsprechend erweitert und angepasst werden.
Auch der Smart-Meter-Rollout ist spannend. Diese intelligenten Zähler messen den Energieverbrauch in Echtzeit. So können wir das Kundenverhalten in Zukunft noch besser nachvollziehen und unsere Prognosen weiter verfeinern.
