Vor zehn Jahren hat die Entwicklung der Software begonnen. Nebenbei, sozusagen als «Hobbyprojekt»: Heute ist der «Zentraloptimierte Betrieb» ein Muster für die Innovationskraft von Mitarbeitenden der St.Galler Stadtwerke. Die von Philipp Aeby, Silvan Müller und Peter Härtsch entwickelte Software schaltet mehrere Fernwärmezentralen zu einer zusammen.
Wer Suchwörter in die Eingabezeile von Google eintippt oder eine Word-Datei online aufruft, wird sich kaum bewusst, dass die Daten nicht von einem einzelnen spezifischen Computer kommen. Die «Cloud» ist ein Verbund von Computern, die nach Bedarf Daten liefern. Hunderte oder tausende von Computern im Rechenzentrum arbeiten als Einheit zusammen. Ähnlich funktioniert auch die Erfindung von Philipp Aeby, Silvan Müller und Peter Härtsch für die Wärmeversorgung – und zwar auf eine neuartige Weise, indem sie drei bestehende Softwaresysteme optimal zusammengefügt haben.
Seit 2013 treibt die Idee das Trio um. Was damals nebenbei begann, ist heute ein unverzichtbares Arbeitsinstrument. «Dabei sind wir gar keine Informatiker, sondern kommen aus der Gebäudetechnik», sagt Philipp Aeby, Fachmitarbeiter Netzsimulation. Gemeinsam mit seinen Kollegen Müller und Härtsch arbeitet er für den Bereich Wärme bei den St.Galler Stadtwerken. Die grösste Herausforderung bei der Entwicklung der Anwendung «Zentraloptimierter Betrieb» (kurz ZOB) sei die Koordination der drei Informatikpartner und die «Aufladung» der Softwareentwicklung mit Energietechnik-Know-how gewesen.
Preisgekröntes Projekt
Warum ist das ZOB-Projekt so wichtig? Es hat sogar den Digital-Award des Wirtschaftsmagazins Leader erhalten. «In der Energiebranche geschieht nun Ähnliches wie im IT-Bereich», sagt Philipp Aeby. Was er meint: Virtualisierung ist eine Kerntechnologie in der Entwicklung der IT – und diese wiederum Voraussetzung für das Gelingen der Sektorenkopplung – der Verschmelzung von Strom, Wärme und Mobilität. Strom wird dabei für verschiedene Zwecke eingesetzt, auch für Wärme und Speicher und je nach Bedarf in die eine oder andere Form umgewandelt. In Wasserstoff beispielsweise. Und ein solches Energiesystem wird intelligent gesteuert. Produziert wird, was gerade benötigt wird. Im Idealfall wird keine Energie, kein Strom verschwendet.
Der automatisierte Betrieb von Fernwärmezentralen ist ein wichtiger Baustein im virtuellen Kraftwerk.
Digitaler Zwilling
Wie ist das Team vorgegangen? «Wir haben einen digitalen Zwilling gebaut», erklärt Philipp Aeby. Dabei handelt es sich um eine exakte Kopie einer Anlage oder einer Maschine in Form einer Software. Diese verhält sich wie das Original. Im Falle der Fernwärme St.Gallens wurde ein Prozessleitsystem (PLS) digital nachgebildet. Dieses steuert die Energieflüsse und regelt die Anlagen der vier Fernwärmezentralen Au, Olma, Waldau und Lukasmühle über die Distanz.
Dabei war die Abbildung eines Kraftwerks in einer Datenbank nicht einmal die grösste Herausforderung – dafür gibt es bereits eine Software, jedoch keine, die einen kleinen, lokalen Produktionsverbund verwalten kann. Darum hat das Team um Philipp Aeby Neuland betreten und drei Softwaresysteme von drei Herstellern miteinander kombiniert. Es galt 150 Datenpunkte in die Datenflüsse zwischen den Systemen zu integrieren, neue Schnittstellen zu bilden und zu testen, testen, testen… «Eine komplexe und auch etwas mühselige Aufgabe», erinnert sich Philipp Aeby an die Anfänge der Entwicklung.
Digitale Fachkraft
Warum sind Aeby, Müller und Härtsch überhaupt auf die Idee gekommen? «Der automatisierte Betrieb von Fernwärmezentralen ist ein wichtiger Baustein im virtuellen Kraftwerk», sagt Philipp Aeby. Im virtuellen Kraftwerk St.Gallen werden erneuerbare Energien jeder Form in Produktion und Speicherung miteinander verbunden. Energie fliesst darin in alle Richtungen, gelenkt von intelligenten IT-Systemen. «Unser ZOB bildet die Grundlage für diese Weiterentwicklung des heutigen Systems und der Energienetze», erklärt Philipp Aeby. Er ist gespannt auf die Zukunft, auf die Projekte seines Kollegen Philipp Ditzel, Bereichsleiter Digitalisierung und Informatik. «Alles wächst zusammen.»
Für die Zukunft bedeutet dies: In St.Gallen entsteht ein regionales, CO2-neutrales, ausgewogenes Energiesystem, ein mögliches Vorbild für andere Regionen und Städte. Darum ist Philipp Aeby für einen Erfahrungsaustausch mit anderen Städten offen. Er und sein Team wollen die in zehnjähriger Arbeit entstandene Anwendung ZOB nicht kommerzialisieren. Was er will: «Unser Know-how erweitern und den digitalen Zwilling mit den künftigen Ausbauschritten des Fernwärmenetzes ergänzen.»
Es ist absehbar: Was im Wärmebereich der St.Galler Stadtwerke begann, dürfte dereinst auf andere Energie- oder Wärmesysteme ausstrahlen.