Im Westen der Stadt St.Gallen baut die energienetz GSG AG ein Niedertemperatur-Wärmenetz, das die Abwärme von Industrie- und Gewerbebetrieben nutzt, um Liegenschaften mit Wärme und Kälte zu versorgen. Dadurch können fossile Brennstoffe eingespart und CO2-Emissionen gesenkt werden. In den nächsten Jahren sollen weitere Gebiete erschlossen werden.
Die Stadt St. Gallen will bis ins Jahr 2050 klimaneutral werden. Das heisst: Der CO2-Ausstoss soll auf null Tonnen reduziert und die fossilen Energien vollständig durch erneuerbare ersetzt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Massnahmen ergriffen. Eine davon ist der Ausbau des Fernwärmenetzes und der Wärmeverbunde. Während in weiten Teilen der Stadt in ein ums andere Gebäude Fernwärmeleitungen gezogen werden, steht für den Westen St.Gallens eine andere Methode im Fokus.
Seit gut fünf Jahren wird dort ein sogenanntes Niedertemperatur-Wärmenetz gebaut, das die Abwärme der Industrie- und Gewerbebetriebe weiterverwendet. Abwärme entsteht bei vielen Prozessen wie der Kühlung von Produkten und Räumen, in Rechenzentren und in der verarbeitenden Industrie. Einige Unternehmen verwenden sie selbst, doch bei manchen fällt mehr an, als dass sie intern nutzen können. Mit dem Niedertemperatur-Wärmenetz, auch Anergienetz genannt, wird die überschüssige Energie zum Heizen oder Kühlen der umliegenden Liegenschaften genutzt.

Weniger CO2-Emissionen
Initiantin und Betreiberin ist die energienetz GSG AG. Daran beteiligt sind die Stadt St.Gallen und die St.Gallisch-Appenzellische Kraftwerke AG zu je 47,4 Prozent sowie die Gemeinde Gaiserwald zu 5,2 Prozent. Das Ziel dieses Verbundes ist es, einen grossen Teil des Gebiets zwischen St.Gallen Winkeln, Gossau Mettendorf und Gaiserwald bis zum Jahr 2050 mit Wärme respektive Kälte zu versorgen, die ihren Ursprung in der Abwärme der Industrie hat. «So können wir die CO2-Emissionen im Perimeter substanziell reduzieren, ortsgebundene Ressourcen nutzen und die Energieeffizienz in den Betrieben erhöhen», sagt Simon Schoch, Geschäftsführer der energienetz GSG AG und Leiter Technischer Verkauf der St.Galler Stadtwerke.
Das Anergienetz ist ein mit Wasser betriebenes, kaltes Wärmenetz, das mit tiefen Temperaturen betrieben wird. Im Fall der energienetz GSG AG sind es zwischen 8 und 28 Grad Celcius. Wer angeschlossen ist, kann je nach Bedarf überschüssige Wärme ins Netz einspeisen oder Wärme respektive Kälte für den Eigengebrauch beziehen. Um die gewünschte Temperatur zu bekommen, werden bei der Kundschaft entweder Wärmepumpen oder Kältemaschinen eingebaut, die dank der Quellentemperatur effizient betrieben werden können. Damit dies funktioniert, braucht es viel Infrastruktur: Leitungen für unterschiedliche Temperaturen, verschiedene Anlagen und saisonale Speicher. «Da Abwärme vor allem im Sommer anfällt, aber mehrheitlich im Winter gebraucht und die Kälte aus den Wintermonaten besonders im Sommer genutzt wird, brauchen wir mit fortschreitendem Netzausbau Wärmespeicher, um die saisonalen Verschiebungen machen zu können», sagt er.
Zwei Abwärmelieferanten versorgen mehrere Betriebe
Der Startschuss für das Niedertemperatur-Wärmenetz erfolgte zwischen den Jahren 2018 und 2019. Als erste Unternehmen wurden die Ernst Sutter AG als Abwärmelieferantin sowie die Schläpfer Altmetall AG, die Steinemann Technology AG und die City-Garage AG als Wärme- und Kältebezügerinnen erschlossen. «Die Ernst Sutter AG kann nur Teile ihrer Abwärme aus der Fleischverarbeitung selbst nutzen», erklärt der Geschäftsführer. «Früher wurde dieser Überschuss an die Umwelt abgegeben. Mit der Einbindung ins Wärmenetz können weitere Gewerbe- und Industriebetriebe von der Energie profitieren.»
Die energienetz GSG AG hat bei der Kundschaft die notwendigen technischen Anlagen für die Aufbereitung der Wärme und Kälte realisiert und betreibt diese. «So ist die Kundschaft zu jeder Zeit sicher versorgt und brauchen sich nicht um die Anlagentechnik zu kümmern.» In diesem Perimeter werden dadurch pro Jahr 552 Tonnen CO2 eingespart, was rund 209 000 Liter Heizöl pro Jahr entspricht. Ebenfalls angeschlossen an die energienetz GSG AG ist die Max Bersinger AG. Sie bezieht aktuell keine Wärme, soll aber künftig ebenfalls ab dem Verbund versorgt werden.
In einem Anergienetz wird Wärme auf niedrigem Temperaturniveau verteilt. Diese stammt im Netz der Energienetz GSG AG aus gewerblichen oder industriellen Prozessen, beispielsweise aus Kälteanlagen. Mit dieser Wärme können über Wärmepumpen Gebäude beheizt oder Warmwasser erzeugt werden. Mit den verhältnismässig hohen Quellentemperaturen von bis zu 29 Grad arbeiten diese Wärmepumpen viel effizienter, als dies bei Luft oder Erdwärme als Wärmequelle möglich wäre.
Im Vergleich dazu ist Fernwärme eine Versorgungsform, bei der Wärme von zentralen Heizungsanlagen über ein Leitungsnetz zu verschiedenen Gebäuden transportiert wird. Die Wärme wird dann an das interne Heizungssystem sowie an die Warmwasserversorgung abgegeben.
Bei der ersten Ausbauetappe, die Mitte 2022 startete, standen einerseits der Anschluss der Shopping-Arena und des Kybunparks als Wärme- und Kältebezüger im Fokus. Andererseits wurde mit der DGS Druckguss System AG eine zweite Firma als Abwärmelieferantin angeschlossen. «Damit können wir die Versorgungssicherheit unserer Kundinnen und Kunden erhöhen», sagt Simon Schoch. Zudem werde so die Resilienz des Wärmenetzes massgeblich gestärkt. Die Anbindung von Abwärmelieferanten ist für den Verbund auch immer mit hohen Kosten verbunden. «Deshalb ist es wichtig, dass wir mit möglichst wenig Infrastruktur einen sicheren Betrieb gewährleisten können.» Die Arbeiten für den Leitungsbau sind mittlerweile abgeschlossen, und das Fussballstadion und die Shoppingarena samt IKEA werden ab Frühling 2024 mit umweltverträglicher Wärme und Kälte versorgt. Mittlerweile sind noch weitere Unternehmen als Wärme- und Kältebezüger dazu gekommen wie HG Commerciale, Belcolor AG und Lanker Immobilien AG.
Insgesamt wird die energienetz GSG AG bis Ende 2024 neun Kundenanlagen zählen, 4,8 Kilometer Rohrleitungen verlegt und 10,9 Millionen Franken investiert haben. Im ganzen Gebiet können dadurch fossile Brennstoffe eingespart werden, die einer Menge von rund 593'000 Litern Erdöl pro Jahr entsprechen. Die CO2-Emissionen reduzieren sich dadurch um über 1’400 Tonnen pro Jahr. «Seit Beginn haben wir CO2-Einsparungen verdreifachen können.»

Viele Vorteile, aber auch Herausforderungen
Nebst der Nachhaltigkeit und der Regionalität gibt es für Simon Schoch einen weiteren grossen Vorteil des Wärmenetzes. «Es ist eine Kombination aus einzelnen Technologien, die bekannt sind und sich bewährt haben», sagt er und erwähnt als Beispiele die Wärmepumpe, das Wärmenetz, die Abwärmeauskoppelung und den Wärmespeicher. «Die einzelnen Komponenten werden bei uns einfach etwas anders als gewohnt eingesetzt. Dadurch ist das Risiko überschaubar.» Zudem seien die Energiepreise stabil, da sie von Verwerfungen im Energiemarkt weniger abhängig seien. Eine der grössten Herausforderungen ist es, potenzielle Kundinnen und Kunden zum richtigen Zeitpunkt zu erwischen. «Die einen wollen den Anschluss sofort, da ihre Heizung bald ersetzt werden muss, wir aber mit den Leitungen im entsprechenden Gebiet noch nicht parat sind. Die anderen wollen mit dem Wechsel noch warten, wir aber hätten Kapazität», sagt er und schmunzelt. Gemeinsam werde dann nach Lösungen gesucht, welche die Zeit bis zum Anschluss überbrückten.
Seit Beginn haben wir CO2-Einsparungen verdreifachen können.
Wie es künftig im Gebiet St.Gallen Winkeln bezüglich Interessierten aussieht, wird sich zeigen. Im Vordergrund der aktuellen Ausbaustrategie stehen die Wohngebiete Kreuzbühl und Kräzeren, die gemäss aktueller Ausbaustrategie bis 2028 respektive 2033 fertig erschlossen sein sollen. Die Projektierungsarbeiten für das Gebiet Kreuzbühl laufen. Parallel dazu hat man die mögliche Erschliessung weiterer Gebiete gemäss der Ausbaustrategie des Unternehmens im Blick. «Wir prüfen die Kundenbedürfnisse und die sich daraus ergebenden Optionen stetig», sagt der Geschäftsführer. Die Erweiterungen werden jedoch nur realisiert, wenn die grundlegenden technischen und wirtschaftlichen Kriterien erfüllt sind. «Wir sind aber zuversichtlich, dass wir in den Ausbaugebieten passende Lösungen für unsere Kundinnen und Kunden finden werden.»