Die Umlegung der Fernwärmeleitungen beim neuen Velotunnel zwischen Bahnhof Nord und Kreuzbleiche ist für die St.Galler Stadtwerke eine technische und planerische Herausforderung. Eine Netzsimulation hilft, den richtigen Zeitpunkt für die Umlegung zu finden, damit Versorgungsausfälle vermieden werden können. Dabei spielt das Wetter eine entscheidende Rolle.
Unter der Kreuzung bei der Kreuzbleiche tut sich was. Während oben der Verkehr über die Strassen rollt, wächst unter der Erde eine neue Verbindung. Die Stadt St.Gallen baut einen Tunnel für den Velo- und Fussverkehr, der ein zentrales Element des städtischen Velokonzepts ist. Ab Sommer 2026 sollen hier Fussgängerinnen und Fussgänger sowie Velofahrende sicher und schnell von der Kreuzbleiche zum Bahnhof Nord – und zurück – gelangen. Doch zunächst muss Platz geschaffen werden. Denn genau dort, wo der Tunnel entsteht, verlaufen Fernwärmeleitungen der St.Galler Stadtwerke (sgsw) und die müssen weichen.
Ein erster Teil der Leitungen wurde bereits im Herbst 2024 umgelegt, und zwar auf der Seite beim Hotel Leo. Nun folgt der zweite Abschnitt auf dem Platz vor der Reithalle. «Die beiden grossen Fernwärmerohre mit einem Aussendurchmesser von 450 Millimetern müssen bei der geplanten Rampe zum Tunnel unterbrochen und um diese herumgeführt werden», erklärt Nermin Dizdarevic, Gesamtprojektleiter Fernwärme bei den sgsw. Was einfach tönt, ist in Wirklichkeit eine technische und planerische Herausforderung. Der Eingriff ins Fernwärmenetz ist heikel. Hier, mitten im Versorgungsgebiet, laufen wichtige Stränge zusammen. Ein Unterbruch könnte zu Ausfällen in der Versorgung führen, und das wollen die sgsw vermeiden. «Solche Arbeiten würden wir eigentlich lieber im Sommer durchführen, da das betriebliche Risiko dann am kleinsten ist», sagt Nermin Dizdarevic und erklärt: «Wenn es warm ist, braucht es weniger Heizenergie, und eine kurzfristige Unterbrechung fällt kaum ins Gewicht.»
Netzsimulation wird intern durchgeführt
Doch der Bau des Velotunnels schreitet voran – und dieser Baufortschritt bestimmt das Tempo und den Zeitplan. Für den Gesamtprojektleiter Fernwärme bedeutet dies, dass bereits im Frühling 2025 die Umlegung der Leitungen ansteht. Um das Risiko von Versorgungsausfällen zu minimieren, ist im Vorfeld eine Netzsimulation durchgeführt worden. «Das Gute ist, dass wir solche Simulationen mittlerweile intern durchführen können», sagt der Gesamtprojektleiter. Das erlaube ihnen eine grosse Flexibilität. Bei den sgsw ist Philipp Aeby dafür verantwortlich. «Mit der Netzsimulation konnten wir zum einen berechnen, wie sich der Eingriff auf die Fernwärmeversorgung auswirkt», sagt der Fachmitarbeiter Netzsimulation des Bereichs Wärme, Gas und Wasser (siehe auch «Digitaler Zwilling» neues Fenster). Zum anderen gibt sie Aufschluss darüber, welche Massnahmen und äusseren Bedingungen nötig sind, damit die Versorgung während der Umlegung gewährleistet ist.
Trotz des hohen Zeitdrucks haben wir die Bauarbeiten dank Wetterglück, guter Planung und präziser Ausführung erfolgreich abschliessen können.
Grundlage für die Simulation waren die Daten sämtlicher baulicher Strukturen des Fernwärmenetzes, die im Geoinformationssystem der sgsw erfasst sind. Mithilfe dieses Tools konnte Philipp Aeby verschiedene Szenarien modellieren und analysieren. Das Modell im Hintergrund berechnete dabei fortlaufend, ab wann kritische Ist-Werte erreicht werden. «Der Eingriff führt vorübergehend zu einem Ungleichgewicht im Netz, da die Kehrrichtverbrennungsanlage in dieser Zeit weniger Wärme ins Netz einspeisen kann», sagt Nermin Dizdarevic. «Um das Gleichgewicht halten zu können, wird von der Fernwärmezentrale Lukasmühle her geheizt.»
Dadurch können auch die entferntesten Gebäude weiterhin mit Fernwärme versorgt werden. Die Netzsimulation gibt für die Umlegung der Fernwärmeleitungen zudem ein Zeitfenster von fünf Tagen vor. In diesem Zeitraum müssen die Rohre getrennt, umgelegt und neu verschweisst werden. Für den Zeitpunkt dieser fünf Tage spielt das Wetter eine entscheidende Rolle. «Während des Eingriffs dürfen die Temperaturen nicht unter null Grad fallen», erklärt Philipp Aeby. Bei kälteren Temperaturen würde das Risiko bestehen, dass die Versorgung nicht mehr gewährleistet werden kann.
Entleeren, unterbrechen, schweissen
Nermin Dizdarevic muss den Baustart so gut wie möglich planen und checkt die Wetterprognosen regelmässig. Im März 2025 ist es dann so weit: Die Wetterdienste prognostizieren frostfreie Nächte und für den Tag sind milde Temperaturen angekündigt. «Wir haben Glück», sagt der Gesamtprojektleiter, «und können die ersten frühlingshaften Tage in diesem Jahr sogleich nutzen.» Die Bauarbeiten verlaufen ohne grössere Zwischenfälle, und auch das Wetter macht an allen Tagen bestens mit. Als erstes werden die mit heissem Wasser gefüllten Fernwärmeleitungen auf Höhe der künftigen Tunnel-Rampe drucklos gemacht, entleert und aufgeschnitten. Danach werden die in der Werkstatt vorgefertigten 90-Grad-Bögen an die beiden Leitungsenden gesetzt und mit neuen Leitungen verbunden, die nach einigen hundert Metern wieder in das bestehende Fernwärmenetz münden. Die beiden farbigen Drähte, die dabei aus den Leitungen ragen, gehören zum Netzüberwachungssystem der sgsw. «Dank ihnen können wir Feuchtigkeitseintritte oder Schäden an der Rohrdämmung frühzeitig erkennen und lokalisieren.»
Kaum haben die Bauarbeiter mit Unterstützung der Bagger die Rohre in den Graben gehievt, wird auch schon mit dem Schweissen begonnen, um eine dauerhaft dichte Verbindung zu schaffen. «Da die Leitungen unter hohem Druck und Temperaturen von 130 Grad Celsius stehen, müssen die Schweissnähte höchsten Qualitätsansprüchen entsprechen», sagt Nermin Dizdarevic. Um sicherzustellen, dass die Nähte den Belastungen standhalten, werden sie von einer externen Firma mittels Röntgenaufnahmen vor Ort geprüft und ausgewertet.
«Erst wenn wir das OK der Röntgenkontrolle haben, können die Leitungen isoliert werden.» Dies ist auch der Zeitpunkt, an dem der Gesamtprojektleiter ein erstes Mal etwas durchatmen kann. «Solche Netzeingriffe sind eine Herausforderung, da ist man immer etwas angespannt», sagt er und schmunzelt. Doch alles bleibt dicht, und Nermin Dizdarevic kann die letzte Etappe bei dieser Leitungsumlegung starten: Fernwärmerohre einmessen, Heisswasser einfüllen und Baugruben zuschütten. Der Gesamtprojektleiter ist zufrieden: «Trotz des hohen Zeitdrucks haben wir die Bauarbeiten dank Wetterglück, guter Planung und präziser Ausführung erfolgreich abschliessen können.»

Textalternative zum Bild: Der Eingriff ins Fernwärmenetz ist heikel. - neues Fenster
