Ohne Strom gibt es kein Licht, kein Internet und keinen Kaffee am Morgen. Netzelektriker Beat Schälle und seine Kollegen von den sgsw sorgen dafür, dass der Strom fliesst – und dafür müssen sie regelmässig auch ausgediente Holzstrommasten auswechseln. Das ist nicht ungefährlich.
Beat Schälle öffnet die Hecktüre des Firmenautos und nimmt eine leuchtend gelbe Jacke mit einem hohen Stehkragen heraus. «Das ist eine ganz spezielle Jacke», sagt der Netzelektriker. «Sie schützt uns vor Flammen.» Er zieht die Schaltjacke an, ebenso die Handschuhe, die auch hitze- und flammenhemmend sind. Obwohl die Beweglichkeit der Finger dadurch etwas eingeschränkt ist, nimmt er den Helm in die eine Hand und in die andere das schwere Gstältli, das in der Fachsprache Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz heisst. «Die richtige Ausrüstung ist etwas vom Wichtigsten für die Sicherheit bei unserer Arbeit», sagt Beat Schälle und macht sich über die grüne Wiese auf zum Strommasten. Sein Kollege Daniel Tondelli folgt ihm mit den restlichen Utensilien.
Unterbrüche rasch beheben
Seit 22 Jahren arbeitet Beat Schälle als Netzelektriker bei den sgsw, und genauso lang ist er Gruppenleiter im Ressort Leitungsbau Netz Elektrizität und Telecom. Zusammen mit seinen Kollegen ist er dafür verantwortlich, dass der Strom vom Produktionsort über Leitungen im Boden oder in der Luft, den sogenannten Freileitungen, in die Haushalte und die Industriebetriebe kommt und allfällige Unterbrüche rasch behoben werden. Denn ohne Strom läuft heute nichts.
In der Ostschweiz gelangt der Strom vom übergeordneten Netz mit 110’000 Volt über Unterwerke ins regionale Netz, das eine Mittelspannung von 10’000 bis 20’000 Volt hat. Danach wird er in lokalen Trafostationen auf 400 respektive 230 Volt reduziert und in die Haushalte und Industriebetriebe transportiert. Die Netzelektriker kümmern sich aber nicht nur um die zuverlässige Verteilung des Stroms, sondern auch um die Instandhaltung von Nieder- und Hochspannungsanlagen, Freileitungen, Trafostationen und öffentliche Beleuchtungen.
«Es braucht eine doppelte Sicherheit»
An diesem Nachmittag müssen Beat Schälle und sein Kollege einen Strommast auswechseln. Der von Fäulnis betroffene Holzmast ist zu einem Risiko geworden, könnte umstürzen und dabei Menschen verletzen oder die Stromzufuhr unterbrechen. In der Region um St.Gallen gibt es insgesamt etwa 700 Holzmasten. Diese werden von den sgsw-Mitarbeitenden alle zwei bis fünf Jahre kontrolliert. Dabei suchen sie den Masten mit dem Feldstecher und dem Hammer nach morschen und faulen Stellen ab. «Die Qualität der Masten hat in den letzten Jahren nachgelassen, da man sie aus Umweltgründen nicht mehr so stark imprägnieren darf wie früher», sagt Schälle. Jährlich müssten etwa 20 Holzmasten erneuert werden. Doch bevor dies geschieht, ist einiges an Vorarbeit nötig.
Zunächst müssen die Leitungen, die zum Mast hin- und wegführen, spannungslos gemacht werden, denn das Berühren eines Drahtes mit 10’000 Volt ist tödlich. In der nahegelegenen Trafostation wird der Strom ausgeschaltet. Trotzdem darf an den Leitungen noch nicht gearbeitet werden. «Es braucht eine doppelte Sicherheit, deshalb ist eine sichtbare Erdung nötig», sagt Beat Schälle. Und dafür wird er nun auf den Strommasten klettern, der mit drei Eisenpflöcken gesichert ist. Der Netzelektriker befestigt die sichelartigen Steigeisen, die sich beim Auf- und Abstieg mit ihren Zähnen in das Holz bohren werden, an beiden Schuhen, setzt sich den Helm auf und schnallt sich das Gstältli um. Gesichert mit einem Gurt, den er um den Mast gelegt hat, steigt er routiniert den rund elf Meter hohen Masten hinauf.
Oben angekommen wirft er seinem Kollegen auf dem Boden ein Seil zu. Dieser hängt den Hochspannungsphasenprüfer daran, und Beat Schälle zieht diesen hinauf. Den anderen Teil der sogenannten Erdungsgarnitur steckt Daniel Tondelli in den Boden. «Mit dem Voltmeter kontrollieren wir, ob auf diesem Bereich des Netzes tatsächlich kein Strom mehr ist», erklärt er. «Falls doch, würde ein Signal ertönen. Der Hochspannungsphasenprüfer ist sozusagen unsere Lebensversicherung.»
Das Wichtigste ist, dass man den Kopf immer bei der Sache hat.
Sohn hat Leidenschaft für Strom geerbt
Beat Schälle ist mit Leib und Seele Netzelektriker. Ihm gefällt die vielfältige Arbeit («ich bin immer wieder auf anderen Baustellen»), und er schätzt es sehr, dass er so selbstständig sein kann. Vor seiner Zeit bei den sgsw war er über zwei Jahrzehnte in verschiedenen Elektrizitätswerken in der ganzen Schweiz tätig. Mittlerweile ist er seit über 20 Jahren bei den sgsw. «Wir haben ein super Team», sagt der 60-Jährige, «und die Arbeit macht mir auch nach 45 Jahren noch viel Spass.» Seine Leidenschaft ist ansteckend. So hat auch sein Sohn denselben Beruf gewählt. Körperlich fit zu sein, ist Schälle wichtig, denn das Klettern ist anstrengend und die Ausrüstung, die er dabei tragen muss, wiegt einige Kilogramm. Er treibt denn auch regelmässig Sport: Im Sommer fährt er leidenschaftlich gerne Rennvelo und Mountainbike und im Winter ist er ein begeisterter Skitourenfahrer.
Textalternative zum Bild: Beat Schälle ist mit Leib und Seele Netzelektriker. - neues Fenster
Angst hat er keine
Oben auf dem Mast ist bei der Prüfung kein akustisches Signal ertönt: Die Leitung ist spannungslos. Nun wird die Erdungsgarnitur an den Drähten montiert, welche die Netzelektriker vor Fehlschaltungen oder Blitzeinschlägen schützt. Beat Schälle lässt die Bedienungsstange wieder am Seil hinunter und steigt langsam hinab. Das gleiche wird nun auf der anderen Leitungsseite des Masts gemacht. Ist auch diese Seite geerdet, kann mit der Demontage des betroffenen Holzmasts begonnen werden. Bei dieser Arbeit werden Schälle und Tondelli von weiteren Mitarbeitenden der sgsw unterstützt. «Meistens sind wir zu viert oder zu sechst.»
Zuerst wird der Mast gesichert, damit er nicht fällt, wenn er abgesägt wird. Dann wird dieser von Hand oder mit Hilfe eines kleinen Krans auf die Seite gestellt. Danach gilt es, die neue Holzstange vorzubereiten und neben der alten aufzustellen, zu keilen und einzufüllen. Dabei werden unter anderem die Drähte von der alten Holzstange auf die neue übernommen. Meistens dauere das ganze Prozedere wenige Stunden, sagt Beat Schälle, der inzwischen wieder auf dem Boden angekommen ist, und befreit sich von seiner Schutzjacke. Er zieht die Handschuhe aus und verstaut beides im Auto. Angst hat er bei seiner Arbeit nicht. «Das Wichtigste ist», so der Netzelektriker, «dass man den Kopf immer bei der Sache hat. Die Leitungen dürfen erst dann berührt werden, wenn man zu 100 Prozent sicher ist, dass der Strom abgestellt ist.»