Ob durch ein Unwetter, Bauarbeiten oder einen Defekt – Störungen im Stromnetz lassen sich nicht vermeiden. Damit aus einem lokalen Ausfall kein grossflächiger Unterbruch wird, sind im Netz Schutzsysteme eingebaut. Diese werden regelmässig von Daniel Bartholdi, Betriebstechniker bei den St.Galler Stadtwerken, überprüft. Eine Arbeit, bei der die Null-Fehler-Toleranz gilt.
WHUMM!! Ein Knall hallt durch den Traforaum an der Steinachstrasse 49. Daniel Bartholdi, Betriebstechniker der St.Galler Stadtwerke (sgsw), sitzt konzentriert vor seinem Laptop, in Griffnähe steht ein blaues Prüfgerät, so gross wie ein Plattenspieler. «Auslösezeit 296,9 Millisekunden – 300 sind gefordert», informiert er seinen Kollegen Landi Grozdek, Ressortleiter Technik und Instandhaltung, der vor der Mittelspannungsschaltanlage steht und den Wert vergleicht. «Okay», meldet dieser zurück, «ich quittiere.»
Die beiden Betriebstechniker der sgsw sind gerade mitten in einer Schutzprüfung. Eben hat Daniel Bartholdi mit dem Prüfgerät einen Stromstoss von 320 Ampère über die Leitungen an die Mittelspannungsanlage geschickt. Der Knall ist ein gutes Zeichen. Er zeigt, dass die Schutzeinrichtung funktioniert hat und der Schalter die elektrische Verbindung zum Transformator unterbrochen hat – hier findet die Umwandlung von der Mittel- auf die Niederspannung statt. Es kann aber noch lauter werden. Dann nämlich, wenn sie die Hochspannungsanlage prüfen: «Diese Schalter sind zehn Mal grösser. Wenn sie auslösen, tönt es wie ein Kanonenschuss und alle Böden im Unterwerk beben», erklärt Daniel Bartholdi.
Schutz für die Stromversorgung
Die Stromversorgung für die Stadt St.Gallen wird unter anderem mit fünf Unterwerken und mit über 200 Trafostationen sichergestellt. Damit diese und weitere Anlagen vor möglichen Störungen, wie beispielsweise einem Kurzschluss durch eine beschädigte Leitung, geschützt werden, sind verschiedene Schutzmechanismen eingebaut. Diese sorgen dafür, dass sich gewisse Schalter öffnen, sobald bestimmte Werte über- oder unterschritten werden. Funktionieren diese Schutzvorrichtungen nicht, kann sich der Fehler weiter ausbereiten und Schäden an Anlagen verursachen. Die Stromversorgung wäre nicht mehr sichergestellt, und nicht zuletzt würden solche Sicherheitsmängel auch die Mitarbeitenden der sgsw sowie die Bevölkerung in Gefahr bringen.
Die Wartung der Anlagen ist für die sgsw darum elementar. Die Schutzeinrichtungen im Mittelspannungsbereich (10'000 Volt) müssen gemäss einer Vorgabe des Eidgenössischen Starkstrominspektorats ESTI alle fünf Jahre geprüft werden. Dieses Jahr werden Daniel Bartholdi und seine drei Teamkollegen 250 solcher Schutzprüfungen durchführen. Die Sicherheit hat dabei oberste Priorität. Jede Schalthandlung – also jeder Eingriff ins Stromnetz – wird sorgfältig geplant, vorbereitet und durchgeführt. Es wird immer im Zweierteam gearbeitet und als weitere Massnahme wird jede Schutzprüfung bei der Netzleitstelle neues Fenster, dem zentralen Ort zur Überwachung und Bedienung der städtischen Stromversorgung, angemeldet.
99-prozentige Sicherheit ist für uns keine Option. Es muss immer 100 Prozent sein.
Die Kundschaft darf nichts merken
Neben dem Sicherheitsaspekt gibt es bei einer Schutzprüfung eine weitere grosse Herausforderung: Das zu prüfende Element muss aus dem laufenden Betrieb «ausgefädelt» werden, ohne dass die Kundinnen und Kunden etwas davon merken. Die Stromversorgung muss also auch mit einem Trafo weniger sichergestellt werden können. Ist dies nur schwer möglich, müssen die Arbeitszeiten der Kundin oder dem Kunden, beispielsweise einem grossen Gewerbe- oder Industriebetrieb, angepasst werden. Zur Veranschaulichung nennt Landi Grozdek die Shopping Arena: «Würden wir während des Abendverkaufs im Versorgungsgebiet der Arena eine Schutzprüfung durchführen, hätte niemand Freude, wenn auf einmal der Strom ausfällt.» Solche Prüfungen werden darum nachts oder am Wochenende durchgeführt.
Unterdessen ist die Schutzprüfung an der Mittelspannungsanlage fast beendet. «Landi, nun darfst du beim Trafo 1, Feld K02 die Erdung entfernen», weist Daniel Bartholdi seinen Kollegen an. «Erdung wird entfernt – jetzt», kommt die Antwort. Dann die nächste Anweisung: «Leistungsschalter Trafo 1 einfahren.» Landi Grozdek wiederholt und führt aus. Nachdem der Schalter eingeschaltet ist, beginnt der Trafo zu surren und die beiden Betriebstechniker nicken zufrieden: Die Prüfung hat keine Sicherheitsmängel aufgezeigt. Landi Grozdek schält sich wieder aus der Schutzausrüstung, die er für die Rückschaltung des Trafos anziehen musste. Die flammenhemmende Jacke, der Helm mit Blende und Spezialhandschuhe schützen im Falle eines Fehlers vor einem Lichtbogen – also extremer Hitze: «Sie sind meine Lebensversicherung.»
Arbeiten wie ein Detektiv
Die Arbeit mit Strom verlangt viel Verantwortungsbewusstsein, hohe Konzentration und absolute Genauigkeit. Für Daniel Bartholdi ist es ein Traumjob. Der Einstieg bei den sgsw brauchte allerdings Geduld. Obwohl er viel elektrotechnische Erfahrung vorweisen konnte, habe sich sein damaliger Chef unbeeindruckt gezeigt und gesagt: «Die ersten drei Jahre bist du wieder Lehrling. Danach hast du die wichtigsten Grundkenntnisse.» Hatte er recht? Daniel Bartholdi lacht: «Ja, genau so war es.» Das ist nun 14 Jahre her. Unterdessen kennt er sein Tätigkeitsgebiet bis ins Detail – und doch tauchen immer wieder Sachverhalte auf, die auch für den erfahrenen Betriebstechniker neu sind. «Dann müssen wir mit viel Ausdauer und Spürsinn nach der Ursache suchen. Das ist fast wie Detektivarbeit», zieht Daniel Bartholdi einen Vergleich. Dieses sorgfältige Arbeiten entspricht ihm und er empfindet es als Privileg, dass er bei den sgsw die dafür benötigte Zeit zur Verfügung hat, um jeden Auftrag sauber abzuarbeiten. Das sei auch wichtig, ergänzt er, denn schon ein kleiner Fehler könne dafür sorgen, dass Personen gefährdet werden oder die ganze Stadt kein Licht mehr hat. «99-prozentige Sicherheit ist für uns keine Option. Es muss immer 100 Prozent sein», sagt er.
Für den zweiten Auftrag an diesem Nachmittag schnallt sich Daniel Bartholdi eine Kletterausrüstung um und setzt einen Helm auf. Im Unterwerk Steinachstrasse muss er die Schutzfunktionen eines Trafos kontrollieren, der die Spannung von 110'000 Volt auf 10'800 Volt umwandelt. Im Unterwerk stehen zwei dieser Trafos. Einer ist ständig in Betrieb; der zweite dient als Back-up. Oben auf dem «Reserve-Trafo» angekommen, fixiert Daniel Bartholdi als erstes einen Karabiner. Gut gesichert kontrolliert er nun alle Schutzeinrichtungen und Messgeräte, die sich auf dem Trafo befinden. Unter einem Kabelanschluss entdeckt er eine kleine Öllache. Er reinigt die Stelle und macht einen Vermerk im Instandhaltungstool. In einer Woche wird er nochmals auf den Trafo klettern. Falls wieder Öl ausgetreten ist, muss die Dichtung ersetzt werden.

Textalternative zum Bild: Bei den Schutzprüfungen ist Teamwork gefragt. - neues Fenster
«Meine Arbeit ist sehr abwechslungsreich und kein Tag wie der andere», sagt Daniel Bartholdi, wieder zurück am Boden. Er und seine Teamkollegen sind auch für die Wartung von PV-Anlagen und Notstromaggregaten zuständig und überprüfen neue Trafostationen vor der ersten Inbetriebnahme. Ausserdem stellen sie rund um die Uhr den Bereitschaftsdienst sicher und beheben unterschiedlichste Störungen in der Stromversorgung. Daniel Bartholdi hat zudem eine Spezialaufgabe. Er, der sich in seiner Freizeit für das Velomuseum Rehetobel engagiert, kümmert sich auch um die 12 E-Bikes, die den sgsw-Mitarbeitenden als Alternative zu den Firmenfahrzeugen zur Verfügung stehen – und zwar mit der genau gleichen Sorgfalt, wie er die grossen Trafos prüft.
